Kategorie: Gedanken

  • Der zerbrechliche Körper

    „Dieser zerbrechliche Körper ist Matrix für Geist und Seele.“

    Wir können es uns nicht leisten, unseren Körper zu vernachlässigen – auch wenn er nicht unser wahres Selbst ist. Unser Leib ist das Gefäß, das uns trägt, solange wir hier auf Erden sind. Wenn wir ihn achten, gesund bleiben und frei von Schmerzen leben, finden wir leichter Zugang zu unserem inneren Selbst.

    Gerade in der Trauer erfahren wir, wie zerbrechlich der Körper ist – und zugleich, wie unzerstörbar Seele und Geist bleiben. Der Leib darf weder abgelehnt noch verachtet werden. Er ist heilig, weil er für eine Zeitlang die Wohnung unseres Geistes war.

    Als Christ finde ich in den Worten des Apostels Paulus Trost und Orientierung:

    „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt?“
    (1 Kor 6,19)

    Der Weise pflegt seinen Körper auch aus Ehrfurcht und Dankbarkeit gegenüber Gott, der nach dem Tod seine Seele bei sich aufnimmt.


    Originaltext aus 365 Tao

    Dieser zerbrechliche Körper
    Ist Matrix
    Für Geist und Seele.

    Wir können es uns nicht leisten, unseren Körper zu vernachlässigen, auch wenn wir erkennen, dass wir uns nicht ausschließlich mit ihm identifizieren dürfen. Auf unserer Suche nach unserem wahren Selbst ist unsere körperliche Existenz der beste Ausgangspunkt. Wir können unser Leben durch die Art und Weise verändern, wie wir essen und uns bewegen und wir können unsere Suche beschleunigen, indem wir gesund bleiben. Wenn wir frei von körperlichen Blockaden und Schmerzen sind, können wir unser inneres Selbst viel besser identifizieren.

    Auf der Suche nach dem Geist und der Seele ist es weise zu verstehen, dass der Körper zwar nicht das wahre Selbst ist, man ihn aber trotzdem pflegen sollte. Das Fleisch darf weder abgelehnt noch kasteit werden. Aber nur der Weise ist in der Lage, den Körper zu pflegen und gleichzeitig über ihn hinauszuschauen.

    Quelle

    Deng Ming-Dao: 365 Tao. Meditationen für jeden Tag des Jahres.

    Übers. Kimiko Leibnitz. 1. Auflage, München 2023, FinanzBuch Verlag (Münchner Verlagsgruppe). ISBN 978-3-95972-658-0. Englische Originalausgabe: 365 Tao: Daily Meditations. Harper San Francisco (HarperCollins Publishers), New York 1992.

  • Trauerrede für Xariel

    Liebe Trauergemeinde,

    wir nehmen heute Abschied von einem ganz besonderen Wesen. Sein Name war Xariel – ein Reisender zwischen den Sternen, ein Gast aus weiter Ferne, ein Bruder in Gottes Schöpfung.

    Xariel war vieles, aber sicher nicht gewöhnlich. Er stammte aus einer fernen Galaxie, von einem Planeten, den er „Lira-7“ nannte. Dort, so erzählte er, gab es Himmel mit drei Sonnen, Meere, die im Dunkeln leuchteten, und Pflanzen, die miteinander sangen, wenn der Wind durch ihre Blätter strich. Schon als junger Xariel liebte er es, durch diese Klangwälder zu streifen. Seine Freunde lachten oft über ihn, weil er den Sternen Lieder vorsummte – so, als wären sie seine älteren Geschwister.

    Er war neugierig, voller Fragen, voller Sehnsucht nach dem Unbekannten. Auf Lira-7 galt er als Träumer, einer, der nicht nur wissen wollte, wie etwas funktioniert, sondern auch, warum es schön ist. Vielleicht war es diese Mischung aus Neugier und Sehnsucht, die ihn irgendwann auf den Weg schickte, hinaus ins All.

    Seine Reise dauerte Jahrtausende. Aber für Xariel war Zeit nie das Entscheidende. Er sagte einmal: „Wenn ich die Sterne sehe, vergesse ich, wie lange ich unterwegs bin. Ich weiß nur: Jeder Stern ist ein Gruß meines Schöpfers.“

    Hier auf der Erde war er ein Fremder, ja – aber nie ein Feind. Die, die ihm begegneten, spürten: Er hatte Humor. Er konnte herzlich lachen, wenn er unsere Eigenheiten beobachtete. Wie wir Menschen uns wichtig nehmen, wie wir über Staus schimpfen, wie wir Kaffee brauchen, um morgens wach zu werden – das amüsierte ihn köstlich. Und doch war in seinem Lachen nie Spott, sondern eine zärtliche Verwunderung.

    Xariel lebte still und aufmerksam. Er liebte es, am Wasser zu sitzen und die Spiegelung des Himmels zu betrachten. Er war kein Kämpfer, kein Eroberer, sondern ein Sammler von Eindrücken. Er wollte verstehen. Und vielleicht – ja, das glaube ich – wollte er auch uns Menschen verstehen.

    Heute verabschieden wir ihn. Wir tun es mit einem Lächeln und mit einem Kloß im Hals. Denn dieser Besucher aus den Sternen hat uns gezeigt: Leben ist größer als wir ahnen.


    1. Gottes Universum ist größer als unser Denken

    Die Bibel beginnt schlicht: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (Gen 1,1).
    Für die Menschen damals war das alles, was es gab. Für uns heute bedeutet es: Milliarden Galaxien, Sterne ohne Zahl – und Wesen wie Xariel.

    Oder wie es im Psalm heißt: „Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament.“ (Ps 19,2).

    Vielleicht hätte man damals ergänzt: „Und auch ein Alien mit großen Augen und feinem Sinn für Humor.“


    2. Braucht ein Alien Erlösung?

    Eine theologische Frage mit Augenzwinkern: Musste Christus auch für Xariel Mensch werden?
    Ich glaube: Nein. Vielleicht war Xariel eines jener Geschöpfe, die nie die Nähe zu ihrem Schöpfer verloren haben. Während wir Menschen uns oft verlaufen – zwischen Ego, Krieg und Stau auf der Tangente – blieb er vielleicht immer in Freundschaft mit Gott.

    Und vielleicht war es genau sein Auftrag, uns daran zu erinnern, dass wir Kinder Gottes sind.


    3. Die Liebe hört niemals auf

    Der Apostel Paulus schreibt: „Die Liebe hört niemals auf“ (1 Kor 13,8).
    Das gilt über Planeten, über Galaxien, über die Grenzen unserer Fantasie hinaus.

    Wenn Gott uns liebt – mit all unseren Macken –, dann liebt er auch ein Alien. Und wenn wir uns vorstellen, dass Xariel jetzt mit den Engeln Sternenkarten spielt, dürfen wir ruhig schmunzeln. Gott hat Humor, da bin ich sicher.

    So dürfen wir vertrauen: Xariel ist heimgekehrt – nicht nur zu den Sternen, sondern in die Arme des Schöpfers, der uns alle verbindet.


    Liebe Trauergemeinde, wenn wir heute Abend in den Himmel schauen und einen Stern heller funkeln sehen als die anderen – vielleicht ist es Xariel, der uns zulächelt.
    Und vielleicht summt er uns noch immer sein Lied der Sterne.


    Über den Autor

    Was wäre, wenn ein Alien stirbt? Harald Preyer – Trauerredner in Wien – zeigt in einer ungewöhnlichen Trauerrede, dass Gottes Liebe das ganze Universum umfasst. Eine berührende, humorvolle und theologische Annäherung.

  • Tara – die Befreierin

    Essenz allen Mitgefühls

    Im Buddhismus wird erzählt, dass die Bodhisattva Tara aus einer Träne geboren wurde. Ihr „Vater“ sozusagen, der große Bodhisattva des Mitgefühls Avalokiteshvara, blickte auf das Leiden aller Wesen. Überwältigt von der Not und dem Schmerz der Welt vergoss er eine Träne – und aus dieser Träne entstand Tara, die Befreierin, die Trösterin, die Beschützerin.

    Tara erinnert uns daran: Tränen sind nicht Schwäche, sondern Quelle von Heilung. Wer weint, der lässt das Leid nicht nur zu – Tränen waschen auch die Seele rein. Sie schenken inneren Frieden und öffnen den Raum, in dem Mitgefühl wachsen kann.

    In Tibet wird Tara verehrt als weibliche Verkörperung des Mitgefühls. Ihre Gestalt erscheint in vielen Farben, jede für eine besondere Kraft der Liebe: Schutz vor Stolz, Neid, Habgier, Zweifel, Unwissenheit, falschen Meinungen, Hass und Anhaftung. Tara befreit von den Gefahren des Alltags, die uns innerlich und äußerlich bedrängen.

    Gerade in der Trauer kann ihr Bild Kraft schenken:
    Wenn wir Tränen vergießen, öffnen wir uns für die Liebe. Wir erkennen, dass wir mit unserem Schmerz nicht allein sind. Und wir spüren, dass Mitgefühl – für uns selbst und füreinander – die größte Befreiung ist.

    So wie Tara aus einer Träne geboren wurde, so kann auch aus unseren Tränen Neues entstehen: Hoffnung, Zuwendung, ein zarter Stern am Himmel der Liebe.

  • Udo Jürgens Grab

    Ihr seid das Notenblatt,
    das für mich alles war.

    Ich lass‘ Euch alles –
    ich lass Euch alles da.

    Vor dieser Inschrift am weißen Flügel aus Marmor – dem Grab von Udo Jürgens am Wiener Zentralfriedhof – habe ich wieder an das Lied gedacht, mit dem er 1966 den ESC gewonnen hat. Merci Cherie ist auch ein schönes Lied für Abschiede. Ich habe es damals mit drei Jahren noch nicht verstanden. Heute freue ich mich, dass es eine gute Digitalversion gibt.

    Udo Jürgens gewinnt 1966 für Österreich mit „Merci Cherie“ den Europäischen Songcontest (ESC).

    Sein Grab am Wiener Zentralfriedhof ist ein Kulturdenkmal geworden.

    Nach seinem Tod am 21. Dezember 2014 in Münsterlingen (Schweiz) fand Udo Jürgens hier seine letzte Ruhestätte. Anstelle eines herkömmlichen Grabsteins befindet sich dort ein großer Flügel aus Stein. Dieser besondere Grabstein wurde von seinem Bruder Manfred Bockelmann entworfen und von Bildhauer Hans Muhr geschaffen. Der Flügel besteht aus Laaser Marmor und wiegt beachtliche 6 Tonnen. In dem weißen Flügel wurde die Asche von Udo Jürgens versenkt.

    Merci, Udo!

  • noch zwei Monate

    eine leise Annäherung zur 1. Lesung vom 21.8.2025, Lesejahr C, Ri 11, 29–39a

    Heute habe ich eine Bibelstelle gelesen, die mich zunächst sprachlos machte. Sie erzählt von Jiftach, einem Heerführer Israels. Vor der Schlacht legt er ein Gelübde ab: Wenn er den Sieg erringt, will er Gott als Opfer darbringen, was ihm als Erstes beim Heimkommen entgegenkommt.

    Er siegt – und ausgerechnet seine einzige Tochter läuft ihm entgegen, voller Freude, mit Gesang und Tanz. Ein Schicksalsschlag. Jiftach erkennt, dass sein Gelübde sich nun gegen sein eigenes Kind richtet.

    Die junge Frau hört davon und wehrt sich nicht. Sie bittet nur um eines:

    „Nur das eine soll mir gewährt werden: Lass mir noch zwei Monate Zeit, damit ich in die Berge hinabgehe und zusammen mit meinen Freundinnen meine Jungfräulichkeit beweine.“ (Ri 11,37)

    Zwei Monate. Eine kurze Schonfrist. Zeit, um Abschied zu nehmen. Zeit, um das Unausgesprochene auszusprechen. Zeit, um mit Freundinnen zu weinen – nicht allein, sondern in Gemeinschaft.

    Genau das bewegt mich: Trauer wird leichter, wenn sie geteilt wird. Wenn andere mitgehen, zuhören, mitweinen. Gemeinschaft verwandelt Schmerz nicht in Freude, aber in etwas Tieferes: in Liebe, die bleibt.

    Ich denke dabei an Birgit, eine junge Mutter von zwei Kindern. Sie war erst 38 Jahre alt, als sie die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs erhielt. Die Ärzte gaben ihr noch zwei Monate. Zwei Monate – das klingt unerträglich kurz. Und doch wurden diese Wochen zu einer geschenkten Zeit: Sie konnte mit ihrer Familie lachen und weinen, sprechen und schweigen, das Wichtigste weitergeben. Sie war getragen – von Liebe, von Nähe, von Gemeinschaft.

    Das ist der tröstliche Impuls dieser Bibelgeschichte: Auch im Angesicht des Todes bleibt uns Würde. Gott schenkt uns Zeit, auch wenn sie kurz ist. Zeit, die gefüllt werden darf mit Liebe.

    Und wir Christen glauben: Es bleibt nicht bei der Erinnerung. Unsere Verstorbenen sind uns vorausgegangen – hin zu Gott. Dort werden wir einander wiedersehen, in verwandelter Wirklichkeit.

    Darum dürfen wir hoffen: Die Zeit war kurz. Aber die Liebe bleibt. Amor vincit.

  • Aus Liebe nass geworden?

    Heute um 07:30 Uhr war die Sonne noch nicht so stark wie an den Tagen vorher. Ich saß in Yuliyas weißem Cabrio, das sie mir für diesen Tag geliehen hatte. Das Stoffdach war geöffnet, die Luft frisch, mein Herz voller Erwartung und auch ein wenig voller Sorge: Werde ich rechtzeitig ankommen? Habe ich alles mit, um die Trauerfeier für Andreas pünktlich um 09:00 Uhr am Friedhof Aspern zu halten?

    Auf der Bundesstraße, kurz vor der Autobahn, kam mir ein großes, orangenes Reinigungsfahrzeug der MA48 entgegen. Es spritzte mit viel Kraft Wasser über die gesamte Fahrbahn. Keine Chance zum Entkommen. Direkt vor mir stand die Wand aus Wasser. Ich dachte: Jetzt ist es soweit. Gleich bin ich waschelnass. War keine gute Idee, offen zu fahren. Im schwarzen Anzug. Und bald soll ich vor den Trauergästen stehen.

    Das Herz schlug schneller. Ich dachte mir in dem Moment nur: „Dein Wille  geschehe“.

    Diese Geschichte habe ich dann den Trauergästen bei der Einsegnungsfeier am Friedhof Aspern erzählt. Sie waren berührt – auch, weil Andreas selbst einige Jahre bei der MA48 als Straßenkehrer gearbeitet hatte. Das Bild passte so gut: Manchmal wäscht das Leben den Schmutz einfach weg. Und im rechten Moment trifft man dann die große Liebe. Die beiden waren 30 Jahre ein glückliches Paar. 

    Ich begrüßte die kleine Trauergemeinschaft – mit einem bewussten Händedruck, einem liebevollen Blick in die Augen und einem herzlichen „Grüß Gott!“ – besonders die Witwe, die Tochter und die Enkelin, deren Namen ich ja schon vom Vorgespräch kannte. Viele der Anwesenden wirkten nicht wie regelmäßige Kirchgänger. Umso schöner war es, dass die Enkelin sich die christliche Einsegnung gewünscht hatte. Ich hatte noch nasse Hände.

    Ich erzählte von Andreas’ Liebe zu den Tieren – und wie sehr auch die Tiere ihn geliebt hatten. Die Geschichte von dem Tascherl für den Urenkel, für das er quer durch die ganze Stadt gefahren ist. Ich berichtete von seiner Arbeit im Schottenstift als Reinigungskraft. Der Wirtschaftsdirektor hatte mir in einem Mail liebevoll von Andreas erzählt. Besonders rührend war die Anekdote, dass Andreas am liebsten mit der großen Reinigungsmaschine durch die Gänge gefahren sei – und dabei lachend sagte: „Heute führe ich den Porsche wieder aus.“ Solche Bilder öffneten die Herzen. Ich spürte: Ich war einer von ihnen. Meine Hände waren inzwischen trocken. Ich hatte sie mir gewaschen, weil ich vom Einlegen der Kohle in den Weihrauchkessel schwarz geworden war.

    Dann deutete ich die Namen der engsten Familien-Mitglieder:

    • Andreas – der erste Jünger, den Jesus gefunden hat. Andreas ist dann zu Petrus gegangen und hat ihm berichtet: „Ich habe den Herrn gesehen!“
    • Christl – erinnert uns an Christus, der die Liebe ist.
    • Daniela – Dan = Richter, Dani = Mein Richter, Daniel = Gott ist mein Richter
    • Michelle – kommt von Michael, dem Engel, der uns beschützt.

    Ich las die bekannte Stelle aus dem Johannesevangelium vor: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen … ich gehe, euch eine Wohnung zu bereiten.“ Genau das tun wir heute: Wir segnen ein neues Grab für Andreas. Und wir freuen uns, irgendwann und irgendwo Andreas in seiner neuen Wohnung wiederzusehen. Ob wir ihn gleich erkennen werden? Ob er uns alle gleich mit unseren Namen ansprechen wird, wenn wir einander in verklärten Körpern gegenüberstehen werden?

    Dann war der von mir sehr geschätzte Organist und Kollege als Trauerredner Tobias Cambensy so lieb und hat spontan gemeinsam mit mir „Ubi caritas“ (Wo Liebe ist und Güte,
    da wohnt Gott) angestimmt – nach der einfachen und bekannten Melodie aus Taizé. Wir haben über Liebe gesprochen: über die Liebe zwischen Menschen, zur Gemeinschaft und über Gottes Liebe zu uns, auf die wir uns immer verlassen können.

    Sehr bewegend waren die Fürbitten, die die Enkel- und Urenkel geschrieben hatten. Ich habe kurz erklärt, dass wir in Fürbitten Gott für jemanden um etwas bitten und wo zwei oder mehr in seinem Namen versammelt sind, da ist er mitten unter uns und erhört unsere Bitten. Er weiß zwar eh ganz genau, was wir brauchen. Aber er will es von uns hören. Er will, dass wir uns zu ihm und zu einander in Liebe bekennen. Deshalb sagen wir von ganzem Herzen zu Gott: „Vater, wir bitten dich, erhöre uns.“ Wir haben das einmal gemeinsam geübt. Alle haben zuerst zögerlich, dann voller Freude mitgemacht. 

    Am offenen Grab beteten wir gemeinsam das Vaterunser – das Gebet, das uns Jesus selbst geschenkt hat, und in dem wir Gott „Vater“ nennen dürfen. Zum Abschluss gaben wir uns alle den Friedensgruß: „Der Friede sei mit dir.“  Ich habe den Sarg und die Trauernden mit Weihwasser besprengt und gesegnet – nur in meiner weißen Albe – dem Kleid des getauften Christen. Die Menschen umarmten einander, Tränen und Lächeln mischten sich. 

    Nach der Einsegnung, zurück am Parkplatz, begegnete ich der Familie noch einmal. Sie waren gelöst, dankbar, voller Herzlichkeit und Wärme. Sie bedankten sich von Herzen und sagten: „Wir freuen uns schon auf Deine besondere Liebes-Führung durch den Stephansdom.“

    Ich verabschiedete mich noch herzlich von Michael, dem weisen Arrangeur, der mir schon im Frühjahr erlaubt hat, sein Bild auf meiner Homepage zu posten und ihn zu zitieren:
    „Schön, wenn Du zu uns kommst, Harald. Bei Dir ist es ganz anders. In den 40 Jahren, die ich da bin, habe ich selten so persönliche herzliche Feiern erlebt wie mit Dir.“

    Im Stephansdom, diesem wunderbaren Bauwerk, in das so viele Generationen ihre ganze Liebe zur Verherrlichung Gottes gelegt haben, werden wir uns wiedersehen. Wir werden hinauf gehen zur Orgelempore und Gott bitten, dass er uns hilft, einander noch aufmerksamer und liebevoller zu begegnen. Und vielleicht wird uns im Gebet Andreas begegnen – im Blick auf den Hochaltar oder in einem der vielen Säulenheiligen oder einfach in der Tiefe unserer Herzen.

    Es war vielleicht die Seele von Andreas oder ein guter Engel – vielleicht einer den die Enkelin Michelle geschickt hat: jedenfalls hat der aufmerksame Fahrer der MA48 unmittelbar, bevor ich nass geworden wäre, das Wasser seiner Reinigungsmaschine auf meiner Straßen-Seite abgeschaltet und mir lachend zugewinkt.

    Danke, lieber MA48-Mitmensch für Deine Achtsamkeit!


    Einige Tage nach dieser Trauerrede habe ich von der Enkelin von Andreas folgende WhatsApp Nachricht bekommen:

    Die Trauer rede war wirklich toll. Die Familie hat sie als sehr aufbauen empfunden und als anders als bei den anderen Beerdigungen. Im positiven Sinne. Danke dafür 🤗

    Lg
    Michelle

  • Dankbarkeit und Trauer

    Wege durch die Zerstörung

    Trauer ist mehr als Schmerz. Dankbarkeit ist mehr als ein „Danke“. Der Philosoph Jonathan Lear beschreibt, wie beide Haltungen zusammenfinden – und wie daraus Hoffnung wächst, selbst angesichts von Krisen und Verlusten.


    Trauer als Kraft

    Trauer bedeutet, Verluste wahrnehmen und ertragen zu können.
    Jeder von uns kennt Abschiede und Enttäuschungen. Trauer ist dabei nicht nur Schmerz – sie ist auch die Fähigkeit, trotz Verlust weiterzugehen.


    Die Realität ist steinhart. © Eva Jauss für DIE ZEIT

    Dankbarkeit als Haltung

    Dankbarkeit zeigt uns: Wir verdanken uns anderen, wir haben uns nicht selbst geschaffen.
    Wenn wir als politische Tiere der Gesellschaft unsere besten Fähigkeiten als Bereicherung geben, so entsteht Dankbarkeit – ob man nun an eine gute Schöpfung Gottes glaubt oder nicht.

    Dankbarkeit macht frei, anderen etwas zu geben, ohne Gegenleistung zu erwarten. Sie öffnet Zukunft.


    Hoffnung trotz Zerstörung

    Ich bin angesichts der Zerstörungen kein Optimist. Aber mir ist eine radikale Hoffnung vertraut, die aus dem Fokus auf Dankbarkeit entspringt.

    Optimismus kann naiv wirken. Hoffnung dagegen ist widerständig – sie trägt selbst dann, wenn vieles verloren scheint.


    Was bleibt

    In der Trauer spüren wir die Endlichkeit. Doch wir können zugleich dankbar sein für das, was uns geschenkt wurde. Aus dieser Dankbarkeit wächst Hoffnung, die tiefer trägt als jeder schnelle Trost.

    Die Liebe bleibt.
    Die Erinnerung bleibt.
    Die Hoffnung bleibt.


    Quellenhinweis

    Foto: Die Realität ist steinhart. © Eva Jauss für DIE ZEIT

    Das gesamte Interview mit Jonathan Lear können Sie in der ZEIT Ausgabe 35/2025 mit diesem Geschenk-Link nachlesen.


    Über Jonathan Lear

    Der Mensch
    Geboren 1948 in New York, promovierte er über Aristoteles, ist heute Professor für Philosophie an der Universität Chicago und praktiziert als Psychoanalytiker.

    Die Bücher
    Sein Buch Radikale Hoffnung erschien 2020 bei Suhrkamp. Sein jüngstes Werk liegt auf Englisch vor: Imagining the End (Harvard University Press, 2022).

  • Hoffnung bleibt

    „Hoffentlich“ – ein Wort, das wir oft sagen. Vor einer Operation, vor einem Gespräch, in Zeiten der Unsicherheit.
    Manchmal mischt sich Angst hinein, manchmal die Erinnerung an Enttäuschungen.

    Und doch gibt es eine Hoffnung, die weiter trägt.
    Eine Hoffnung, die größer ist als Sorgen und stärker als der Tod.
    Sie sagt: Alles, was an Liebe, Güte und Menschlichkeit gelebt wurde, bleibt.
    Es geht nicht verloren.

    „Auferstehung“ bedeutet: Der letzte Satz unserer Geschichte heißt nicht „Ende“, sondern „Weiter“.
    Diese Hoffnung ist ein Geschenk. Sie schenkt Geborgenheit, Sinn und Perspektive – schon heute.

    Darum dürfen wir sagen:
    Unsere Verbindung bleibt.
    Die Liebe bleibt.
    Und das Wiedersehen kommt – in einer Wirklichkeit, in der wir einander wieder in die Arme schließen.


    2. Lesung am Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel

    Schwestern und Brüder! Christus ist von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen.

    Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.

    Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge: Erster ist Christus; dann folgen, wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören. Danach kommt das Ende, wenn er jede Macht, Gewalt und Kraft entmachtet hat und seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt.

    Denn er muss herrschen, bis Gott ihm alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod. Denn: Alles hat er seinen Füßen unterworfen.

    1 Kor 15, 20–27a

  • Bambus

    Wie hoch soll ich wachsen?

    Manchmal sieht niemand, wie sehr du dich bemühst.
    Jahre vergehen, ohne dass dein Traum sichtbar wird.

    So wie beim Bambus: Fünf Jahre lang wächst er nur im Verborgenen – unsichtbar für alle, tief in der Erde.

    Erst wenn seine Wurzeln stark genug sind, schießt er in wenigen Monaten zehn Meter in die Höhe.

    Auch deine verborgenen Jahre sind nicht verloren. Sie geben dir die Kraft, dein volles Maß zu erreichen.

    Sei dankbar für deine Wurzeln, für dein Wachsen, für alles, was du erlebt hast. Dann wirst du wachsen, solange es passt.

  • Der Mönch am Meer

    Friedrich bohrt mit seiner radikal reduzierten Bildsprache: kein Tiefenraum, kein Begehbarkeit – nur Horizont, Himmel, Meer, Mönch. Der Klassiker zeigt nicht die Welt – er zeigt unser innerstes Sehnen und Zweifeln. In seiner Leere liegt das Dialogische: Der Betrachter ist nicht eingeladen, sondern eins mit dem Gemalten.

    Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ nach der Restaurierung 2016 
    © Abb.: Andres Kilger/​bpk (Caspar David Friedrich „Mönch am Meer“ 1808 – 1810)

    Ein Bild wie ein Gebet in Farbe – es stellt die Frage nach Gottes Nähe, nach Trost in Stille und Weite, nach der Antwort auf unsere existentielle Einsamkeit.

    „Daran also sollten wir denken auf unserem nächsten einsamen Strandspaziergang an der Ostsee: dass wir den Mut haben, nach oben zu schauen, auch wenn wir alle Hoffnung haben fahren lassen. Oder wie es Marcel Proust, der große Kenner Friedrichs, einmal ausgedrückt hat: Halten Sie stets ein kleines Stückchen Himmel über Ihrem Leben frei.“

    Florian Illies beschreibt in DIE ZEIT Nr. 34/2025 das „küh­nes­te Gemälde des 19. Jahrhunderts in Deutschland“: Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“, entstanden zwischen 1808 und 1810. Der Mönch – einsam, verloren, im tiefen Zweifel – blickt aufs Meer, während Natur und Unendlichkeit aufs Innerste treffen.


    Geschenk-Link zum ZEIT‑Artikel: „Mönch am Meer“ von Caspar David Friedrich – Was denkt sich wohl der Mönch am Meer? 
    (ZEIT Magazin Nr. 34/2025, 8. August 2025)

    Publikation zur Restaurierung von Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ und „Abtei im Eichwald“ erschienen