Schlagwort: Vertrauen

  • Das Dilemma des Heinz – und die Frage nach dem Leben

    Von Harald R. Preyer

    Eine Frau liegt im Sterben. Ein Mann will sie retten. Ein Apotheker verlangt den Preis des Lebens. Und die Moral? Sie steht ratlos daneben. Und wenn es im Heinz-Dilemma gar nicht um Ethik ginge?


    Der Psychologe Lawrence Kohlberg entwarf in den fünfziger Jahren eine Versuchsanordnung, die bis heute in Ethikseminaren zitiert wird: das Heinz-Dilemma.
    Eine Frau leidet an einer tödlichen Krankheit. Es gibt ein Medikament, das helfen könnte, doch der Apotheker verlangt das Zehnfache seiner Kosten. Der Ehemann Heinz bittet, verhandelt, fleht – vergeblich. Schließlich überlegt er, ob er einbrechen und das Mittel stehlen soll.

    Soll er?

    Kohlberg wollte mit dieser Frage nicht Moral lehren, sondern Moral messen. Entscheidend war nicht, was jemand antwortet, sondern warum.
    Wer sagt: „Er darf nicht stehlen, sonst kommt er ins Gefängnis“, denkt anders als jemand, der meint: „Ein Menschenleben zählt mehr als Eigentum.“ Moral, so Kohlberg, entwickelt sich in Stufen – von der Furcht vor Strafe bis zur Einsicht in universelle Werte.


    Wenn das Medikament nicht heilt

    Doch in dieser berühmten Versuchsanordnung fehlt eine entscheidende Unbekannte:
    Was, wenn das Medikament gar nicht hilft?
    Wenn es nur das Leiden verlängert – oder das Sterben?

    Dann verschiebt sich der moralische Brennpunkt.
    Dann geht es nicht mehr darum, ob Heinz das Richtige tut, sondern was „richtig“ überhaupt heißt.

    Ist Leben immer der höchste Wert? Oder wird es erst durch Sinn und Liebe heilig?

    In solchen Momenten reicht die Vernunft nicht mehr.
    Sie macht Platz für das Ringen des Herzens, das nicht loslassen kann – selbst wenn Loslassen der letzte Liebesdienst wäre.


    Zwischen Gesetz und Gnade

    Vielleicht liegt Heinz’ wahres Dilemma gar nicht im Gesetz, sondern im Glauben.
    Nicht, ob er einbrechen darf, sondern ob er glaubt, das Leben seiner Frau liege in seinen Händen.
    Und vielleicht liegt das Unrecht nicht beim Apotheker, sondern in der Logik, mit der wir Leben bemessen – als wäre es handelbar, verlängerbar, verfügbar.

    Was ist der Wert eines Menschenlebens, wenn es zugleich unbezahlbar und unhaltbar ist?


    In Gottes Zeit

    Am Ende werden wir alle vorausgehen.
    Für manche von uns leben unsere Seelen weiter.
    Und wir werden uns wieder umarmen – in Gottes Zeit.

    Dieses Vertrauen ist Gnade und verwandelt das Dilemma.
    Nicht zu einer Lösung, sondern zu einem Trost.
    Denn wenn Heilung nicht mehr im Diesseits liegt, wird das Stehlen sinnlos – und die Liebe heilig.

    Heinz bleibt Mensch – zwischen Hoffnung und Hingabe.
    Und Gott bleibt Gott – jenseits aller Rechnungen.


    Über den Autor:
    Harald R. Preyer ist Coach, geistlicher Begleiter und Trauerredner in Wien. Er begleitet Menschen an Lebenswenden .

  • Sorge Dich nicht – Lebe

    Ich hatte mein ganzes Leben viele Probleme und Sorgen.
    Die meisten von ihnen sind aber niemals eingetreten.

    Mark Twain (1835–1910)

    • Kenne ich das von mir? Welche Sorgen plagen mich heute?
    • Hilft mir die sanfte Erinnerung, dass ich alle diese Sorgen auf Gott werfen darf?

    „Werft alle eure Sorge auf ihn, denn er kümmert sich um euch.“
    (1 Petr 5, 7)

  • Macht Glaube glücklich?

    Zwei Urnenbestattungen im warmen Herbstlicht

    Heute habe ich zwei Urnen-Beisetzungen begleitet.
    Zwei Friedhöfe, zwei sehr verschiedene Familien – und doch hatten sie etwas gemeinsam:
    In beiden Feiern war Gott „verboten“.
    Nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung, aus Schmerz – vielleicht Wut.
    Aus der Frage, die manchmal Menschen quält:
    Wie kann Gott so etwas zulassen?

    Ich habe darauf keine Antwort.
    Aber ich habe gespürt, dass Dankbarkeit hilft.
    Dankbar zu sein für das, was war – für gemeinsame Stunden, für Liebe, für das, was bleibt.

    In einer der Feiern durfte ich den Liebesbrief einer jungen Witwe lesen. So zart, so echt. Im Gesicht der Eltern sah ich für einen Moment wieder ein Leuchten.

    Vielleicht war das der Augenblick, in dem Gott doch da war – ganz leise.

    Manchmal glaube ich, unser Auftrag als Seelsorger, als Redner, als Menschen ist nicht, Antworten zu geben.
    Sondern Herzen zu berühren.
    Menschen daran zu erinnern, dass Liebe stärker ist als Tod.
    Und dass Dankbarkeit die Tür zur Hoffnung öffnet.

    Ob Glaube glücklich macht?
    Vielleicht ja – wenn wir ihn nicht verteidigen,
    sondern leben.
    Still, herzlich, menschlich.

  • Psalm 31 – In der Bedrängnis

    Wie groß ist deine Güte, Herr,
    die du bereithältst für alle, die dich fürchten und ehren;
    du erweist sie allen, die sich vor den Menschen zu dir flüchten.
    Du beschirmst sie im Schutz deines Angesichts
    vor dem Toben der Menschen.
    Wie unter einem Dach bewahrst du sie
    vor dem Gezänk der Zungen.

    Gepriesen sei der Herr, der wunderbar an mir gehandelt
    und mir seine Güte erwiesen hat zur Zeit der Bedrängnis.
    Ich aber dachte in meiner Angst:
    Ich bin aus deiner Nähe verstoßen.
    Doch du hast mein lautes Flehen gehört,
    als ich zu dir um Hilfe rief.

    Psalm 31,   Verse 20–25

    Impuls

    Wie oft glauben wir in der Not, Gott habe uns vergessen.
    Doch später – manchmal erst viel später – erkennen wir:
    Er war da, auch im Schweigen, auch in der Angst.
    Dankbarkeit wächst aus dieser Rückschau:
    „Du hast mein lautes Flehen gehört.“

  • Meine Hoffnung und meine Freude

    Meine Hoffnung und meine Freude,
    meine Stärke, mein Licht.
    Christus, meine Zuversicht,
    auf dich vertrau ich
    und fürcht mich nicht,
    auf dich vertrau ich
    und fürcht mich nicht.

    Taizé nach Jes 12,2 – GL 365

    Impuls

    Manchmal reicht ein einziger Satz, um uns innerlich zu halten:
    „Auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht.“
    Dieser einfache Vers aus Taizé ist wie ein Atemgebet – ein leises Ja zu Gott mitten in der Angst.
    Er erinnert uns: Vertrauen ist kein Gefühl, sondern eine Entscheidung.
    Und wer sie trifft, spürt: Es trägt.

  • In Christus verbunden

    Seit 1995 ist „Magnificat – das Stundenbuch“ mein täglicher Begleiter. Die drei Gebetszeiten mit den Texten der römisch katholischen Kirche zu jedem Tag tun mir einfach gut.

    Es ist ein wunderbares Gefühl in einer Gebetsgemeinschaft geborgen zu sein, die geschätzte 40 Millionen Menschen umfasst. Das sind die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter der römisch katholischen Kirche weltweit.

    Wir alle beten in unseren Zeitzonen und Sprachen jeden Tag ähnliche Gebete und lesen die gleichen Texte – seit bald 2000 Jahren.

    Und selbst mit den christlichen Familienmitgliedern, die sich im Laufe der Jahrhunderte von Rom entfernt haben, sind wir bis heute durch die gleichen Gebete zum selben Gott verbunden.

    Unser Gott ist Liebe.

  • Trauer als heilige Katharsis

    Zum Gedenktag des hl. Ignatius von Antiochia
    – Freitag, 17. Oktober 2025

    (Welttag gegen Armut und Ausgrenzung)

    Lesung aus dem Morgengebet: 1 Petr 1, 6–9

    Ihr seid voll Freude, obwohl ihr jetzt vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen leiden müsst.
    Dadurch soll sich euer Glaube bewähren, und es wird sich zeigen, dass er wertvoller ist als Gold, das im Feuer geprüft wurde und doch vergänglich ist.
    So wird eurem Glauben Lob, Herrlichkeit und Ehre zuteil bei der Offenbarung Jesu Christi.
    Ihn habt ihr nicht gesehen, und dennoch liebt ihr ihn; ihr seht ihn auch jetzt nicht;
    aber ihr glaubt an ihn und jubelt in unsagbarer, von himmlischer Herrlichkeit verklärter Freude,
    da ihr das Ziel des Glaubens erreichen werdet: euer Heil.


    Das Feuer, das reinigt

    Manchmal führt das Leben uns durch ein Feuer.
    Wir verlieren Menschen, Sicherheiten, Träume. Und mitten in der Trauer fragen wir: Warum muss das so weh tun?

    Die alten Griechen nannten dieses Durchgehen durch Schmerz Katharsis – Reinigung, Läuterung. In ihren Dramen war das Erleben von Leid kein Selbstzweck, sondern der Weg zu neuer Klarheit, zu Menschlichkeit. Erst wer Tränen zulässt, kann sich verwandeln.

    Auch die Bibel spricht in diesem Sinn:
    Der Glaube ist wie Gold, das im Feuer geprüft wird. Nicht das Feuer zerstört ihn, sondern es bringt seine Reinheit zum Vorschein.

    Ignatius – der Gottesträger

    Am heutigen Tag erinnert uns die Kirche an Ignatius von Antiochia, einen der ersten Zeugen des Glaubens. Auf seiner schweren Reise in die Gefangenschaft schrieb er Briefe voller Zuversicht. Er nannte sich selbst Theophoros, den „Gottesträger“.
    Er wusste: Gott verlässt uns nicht im Leid – er trägt uns hindurch.

    Trost, der verwandelt

    Trauer kann zu einer heiligen Katharsis werden.
    Nicht, weil der Schmerz an sich gut wäre, sondern weil er das Herz öffnet.
    Er macht uns empfänglich für das, was bleibt: Liebe, Mitgefühl, Dankbarkeit, Tiefe.

    Wenn wir den Mut haben, durch die Trauer zu gehen, anstatt sie zu umgehen, dann geschieht etwas leise Wunderbares:
    Aus Tränen wächst Frieden. Aus Verlust wächst Liebe.
    Und aus der Dunkelheit wächst neues Leben.

    Trost heißt nicht, den Schmerz zu leugnen – sondern in ihm Gott zu begegnen. Denn Gott ist Liebe. Und Liebe siegt immer.

  • Wie Liebe Trauer verwandelt

    Gedanken von Harald R. Preyer nach der Generalaudienz von Papst Leo XIV., 15. Oktober 2025

    Papst Leo XIV. hat in seiner heutigen Katechese etwas ausgesprochen, das mich tief berührt:

    Der Auferstandene ist die Quelle, die niemals versiegt.

    Er sagt nicht: Wir sollen an die Auferstehung glauben – er sagt: Sie geschieht mitten unter uns. Christus ist nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart. Er ist das lebendige Wasser, das unseren Durst stillt, wenn das Leben uns austrocknet.

    Als ich diese Worte heute Mittag im Auto hörte, musste ich an die vielen Hinterbliebenen denken, die ich in den letzten Monaten besucht habe.

    Einige von ihnen freuen sich schon jetzt auf das Wiedersehen mit ihren vorausgegangenen Familienmitgliedern – an einem Ort, den keiner kennt und den noch nie ein Mensch gesehen hat.
    In solchen Gesprächen wandelt sich Trauer oft überraschend schnell in Dankbarkeit – und manchmal sogar in leise Freude.

    Andere hingegen tun sich schwer, auf meine Frage eine tröstende Antwort zu finden: „Was glauben Sie – wo ist der liebe Verstorbene jetzt?“

    Oft höre ich dann: „Er lebt in unseren Herzen weiter.“

    Das ist ehrlich, und es ist menschlich. Aber ich denke mir oft: Das wäre mir zu wenig. Denn wenn der letzte Mensch gestorben ist, der sich erinnert – ist der Verstorbene dann wirklich für immer verschwunden? „Mausetot“, wie es der Herzogenburger Probst Petrus Stockinger heuer im Frühjahr gesagt hat.

    In meinen Trauerreden bemühe ich mich deshalb, jene Hoffnung zu vermitteln, die uns Christen der Glaube an den auferstandenen Christus schenkt. Sie verwandelt die bloße Erinnerung unserer Herzen in die Vorfreude auf das Wiedersehen. Natürlich ändert das nichts am Schmerz, den Trauernde im Moment erleben. Aber diese Hoffnung ist ein Licht am Ende des Tunnels – ein Ziel, auf das wir zugehen können.

    Denn durch Christus dürfen wir glauben: Das Leben endet nicht im Vergessen, sondern wird vollendet in der Liebe Gottes – dort, wo keine Trennung mehr ist.

    Wo Liebe spürbar wird

    Erstaunlich ist für mich immer wieder, dass gerade Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, diese Botschaft mit großem Wohlwollen annehmen.

    Vielleicht, weil sie in dieser Form schon lange nicht mehr – oder vielleicht noch nie – über die Liebe nachgedacht haben.
    Und doch ist Gott genau das: die Liebe selbst.

    Mir erzählen Menschen immer wieder, warum sie aus der Kirche ausgetreten sind und einige Gründe kann ich nachvollziehen und verstehen. Ich habe aber noch nie einen (trauernden) Menschen erlebt, der sich gegen die Liebe ausgesprochen hat.

    Viele Angehörige nehmen gerne meine Einladung zu einer kleinen Führung „Der Stephansdom – eine Liebesgeschichte“ an. Ich bin kein Domführer – ich bin Lektor, Ministrant, und vor allem ein gläubiger Mensch, der diesen Ort liebt. Ich zeige ihnen Plätze, an denen ich selbst immer wieder die Gegenwart Gottes spüre – die stille, tröstende, zärtliche und manchmal überwältigende Liebe des Auferstandenen.

    Und die Trauernden sind mir danach dankbar.
    Nicht, weil sie eine kunsthistorische Führung erlebt hätten,
    sondern weil sie – mitten in der Stille, im Gebet, in einem Lichtstrahl, in einem Augenblick des Friedens – die Nähe des lieben Verstorbenen gespürt haben.

    Nicht im Kopf, sondern im Herzen.
    Nicht in Worten, sondern in der Liebe.

    Vielleicht ist genau das Auferstehung:
    Dass wir – mitten im Leben, mitten in der Trauer – wieder lernen zu spüren, wie Liebe das Letzte ist, was bleibt.
    Und das Erste, das neu beginnt.


    Harald R. Preyer ist systemischer Coach, geistlicher Begleiter und christlicher Trauerredner in Wien.

  • Was ist Erfolg?

    Erfolg beginnt für mich mit Freude –
    der Freude darüber, dass ich leben darf und dass mir Zeit und Menschen geschenkt sind.

    Aus Freude wächst Dankbarkeit,
    Dankbarkeit für alles, was gelingt, und für das, was mich lehrt.

    Wo Dankbarkeit ist, entsteht Vertrauen –
    in mich selbst, in andere und vor allem in Gott.

    Und aus der Fülle dieses Vertrauens wächst Liebe –
    Liebe, die nicht besitzen will, sondern freigibt.
    Die segnet, statt zu bewerten.
    Die Frieden sucht, nicht Sieg.

    Lieben zu können aus der Fülle des Vertrauens in Gott – das ist Erfolg.

    Nicht Erfolg, den man sich erarbeitet,
    sondern Erfolg aus Gnade.

    „Bleibt in meiner Liebe – dann bringt ihr reiche Frucht.“ (Joh 15,9–11)

  • Wer nur den lieben Gott lässt walten

    Wer nur den lieben Gott lässt walten
    und hoffet auf ihn allezeit,
    den wird er wunderbar erhalten
    in aller Not und Traurigkeit.
    Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut,
    der hat auf keinen Sand gebaut.

    Was helfen uns die schweren Sorgen,
    was hilft uns unser Weh und Ach?
    Was hilft es, dass wir alle Morgen
    beseufzen unser Ungemach?
    Wir machen unser Kreuz und Leid
    nur größer durch die Traurigkeit.

    Man halte nur ein wenig stille
    und sei doch in sich selbst vergnügt,
    wie unsers Gottes Gnadenwille,
    wie sein Allwissenheit es fügt;
    Gott, der uns sich hat auserwählt,
    der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.

    Es sind ja Gott sehr leichte Sachen
    und ist dem Höchsten alles gleich:
    den Reichen klein und arm zu machen,
    den Armen aber groß und reich.
    Gott ist der rechte Wundermann,
    der bald erhöhn, bald stürzen kann.

    Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,
    verricht das Deine nur getreu
    und trau des Himmels reichem Segen,
    so wird er bei dir werden neu.
    Denn welcher seine Zuversicht
    auf Gott setzt, den verlässt er nicht.

    Georg Neumark (1641) 1657
    GL 424 · GL 1975 295 · KG 541 · EG 369