Schlagwort: Gott

  • Aus Liebe nass geworden?

    Heute um 07:30 Uhr war die Sonne noch nicht so stark wie an den Tagen vorher. Ich saß in Yuliyas weißem Cabrio, das sie mir für diesen Tag geliehen hatte. Das Stoffdach war geöffnet, die Luft frisch, mein Herz voller Erwartung und auch ein wenig voller Sorge: Werde ich rechtzeitig ankommen? Habe ich alles mit, um die Trauerfeier für Andreas pünktlich um 09:00 Uhr am Friedhof Aspern zu halten?

    Auf der Bundesstraße, kurz vor der Autobahn, kam mir ein großes, orangenes Reinigungsfahrzeug der MA48 entgegen. Es spritzte mit viel Kraft Wasser über die gesamte Fahrbahn. Keine Chance zum Entkommen. Direkt vor mir stand die Wand aus Wasser. Ich dachte: Jetzt ist es soweit. Gleich bin ich waschelnass. War keine gute Idee, offen zu fahren. Im schwarzen Anzug. Und bald soll ich vor den Trauergästen stehen.

    Das Herz schlug schneller. Ich dachte mir in dem Moment nur: „Dein Wille  geschehe“.

    Diese Geschichte habe ich dann den Trauergästen bei der Einsegnungsfeier am Friedhof Aspern erzählt. Sie waren berührt – auch, weil Andreas selbst einige Jahre bei der MA48 als Straßenkehrer gearbeitet hatte. Das Bild passte so gut: Manchmal wäscht das Leben den Schmutz einfach weg. Und im rechten Moment trifft man dann die große Liebe. Die beiden waren 30 Jahre ein glückliches Paar. 

    Ich begrüßte die kleine Trauergemeinschaft – mit einem bewussten Händedruck, einem liebevollen Blick in die Augen und einem herzlichen „Grüß Gott!“ – besonders die Witwe, die Tochter und die Enkelin, deren Namen ich ja schon vom Vorgespräch kannte. Viele der Anwesenden wirkten nicht wie regelmäßige Kirchgänger. Umso schöner war es, dass die Enkelin sich die christliche Einsegnung gewünscht hatte. Ich hatte noch nasse Hände.

    Ich erzählte von Andreas’ Liebe zu den Tieren – und wie sehr auch die Tiere ihn geliebt hatten. Die Geschichte von dem Tascherl für den Urenkel, für das er quer durch die ganze Stadt gefahren ist. Ich berichtete von seiner Arbeit im Schottenstift als Reinigungskraft. Der Wirtschaftsdirektor hatte mir in einem Mail liebevoll von Andreas erzählt. Besonders rührend war die Anekdote, dass Andreas am liebsten mit der großen Reinigungsmaschine durch die Gänge gefahren sei – und dabei lachend sagte: „Heute führe ich den Porsche wieder aus.“ Solche Bilder öffneten die Herzen. Ich spürte: Ich war einer von ihnen. Meine Hände waren inzwischen trocken. Ich hatte sie mir gewaschen, weil ich vom Einlegen der Kohle in den Weihrauchkessel schwarz geworden war.

    Dann deutete ich die Namen der engsten Familien-Mitglieder:

    • Andreas – der erste Jünger, den Jesus gefunden hat. Andreas ist dann zu Petrus gegangen und hat ihm berichtet: „Ich habe den Herrn gesehen!“
    • Christl – erinnert uns an Christus, der die Liebe ist.
    • Daniela – Dan = Richter, Dani = Mein Richter, Daniel = Gott ist mein Richter
    • Michelle – kommt von Michael, dem Engel, der uns beschützt.

    Ich las die bekannte Stelle aus dem Johannesevangelium vor: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen … ich gehe, euch eine Wohnung zu bereiten.“ Genau das tun wir heute: Wir segnen ein neues Grab für Andreas. Und wir freuen uns, irgendwann und irgendwo Andreas in seiner neuen Wohnung wiederzusehen. Ob wir ihn gleich erkennen werden? Ob er uns alle gleich mit unseren Namen ansprechen wird, wenn wir einander in verklärten Körpern gegenüberstehen werden?

    Dann war der von mir sehr geschätzte Organist und Kollege als Trauerredner Tobias Cambensy so lieb und hat spontan gemeinsam mit mir „Ubi caritas“ (Wo Liebe ist und Güte,
    da wohnt Gott) angestimmt – nach der einfachen und bekannten Melodie aus Taizé. Wir haben über Liebe gesprochen: über die Liebe zwischen Menschen, zur Gemeinschaft und über Gottes Liebe zu uns, auf die wir uns immer verlassen können.

    Sehr bewegend waren die Fürbitten, die die Enkel- und Urenkel geschrieben hatten. Ich habe kurz erklärt, dass wir in Fürbitten Gott für jemanden um etwas bitten und wo zwei oder mehr in seinem Namen versammelt sind, da ist er mitten unter uns und erhört unsere Bitten. Er weiß zwar eh ganz genau, was wir brauchen. Aber er will es von uns hören. Er will, dass wir uns zu ihm und zu einander in Liebe bekennen. Deshalb sagen wir von ganzem Herzen zu Gott: „Vater, wir bitten dich, erhöre uns.“ Wir haben das einmal gemeinsam geübt. Alle haben zuerst zögerlich, dann voller Freude mitgemacht. 

    Am offenen Grab beteten wir gemeinsam das Vaterunser – das Gebet, das uns Jesus selbst geschenkt hat, und in dem wir Gott „Vater“ nennen dürfen. Zum Abschluss gaben wir uns alle den Friedensgruß: „Der Friede sei mit dir.“  Ich habe den Sarg und die Trauernden mit Weihwasser besprengt und gesegnet – nur in meiner weißen Albe – dem Kleid des getauften Christen. Die Menschen umarmten einander, Tränen und Lächeln mischten sich. 

    Nach der Einsegnung, zurück am Parkplatz, begegnete ich der Familie noch einmal. Sie waren gelöst, dankbar, voller Herzlichkeit und Wärme. Sie bedankten sich von Herzen und sagten: „Wir freuen uns schon auf Deine besondere Liebes-Führung durch den Stephansdom.“

    Ich verabschiedete mich noch herzlich von Michael, dem weisen Arrangeur, der mir schon im Frühjahr erlaubt hat, sein Bild auf meiner Homepage zu posten und ihn zu zitieren:
    „Schön, wenn Du zu uns kommst, Harald. Bei Dir ist es ganz anders. In den 40 Jahren, die ich da bin, habe ich selten so persönliche herzliche Feiern erlebt wie mit Dir.“

    Im Stephansdom, diesem wunderbaren Bauwerk, in das so viele Generationen ihre ganze Liebe zur Verherrlichung Gottes gelegt haben, werden wir uns wiedersehen. Wir werden hinauf gehen zur Orgelempore und Gott bitten, dass er uns hilft, einander noch aufmerksamer und liebevoller zu begegnen. Und vielleicht wird uns im Gebet Andreas begegnen – im Blick auf den Hochaltar oder in einem der vielen Säulenheiligen oder einfach in der Tiefe unserer Herzen.

    Es war vielleicht die Seele von Andreas oder ein guter Engel – vielleicht einer den die Enkelin Michelle geschickt hat: jedenfalls hat der aufmerksame Fahrer der MA48 unmittelbar, bevor ich nass geworden wäre, das Wasser seiner Reinigungsmaschine auf meiner Straßen-Seite abgeschaltet und mir lachend zugewinkt.

    Danke, lieber MA48-Mitmensch für Deine Achtsamkeit!


    Einige Tage nach dieser Trauerrede habe ich von der Enkelin von Andreas folgende WhatsApp Nachricht bekommen:

    Die Trauer rede war wirklich toll. Die Familie hat sie als sehr aufbauen empfunden und als anders als bei den anderen Beerdigungen. Im positiven Sinne. Danke dafür 🤗

    Lg
    Michelle

  • Hoffnung bleibt

    „Hoffentlich“ – ein Wort, das wir oft sagen. Vor einer Operation, vor einem Gespräch, in Zeiten der Unsicherheit.
    Manchmal mischt sich Angst hinein, manchmal die Erinnerung an Enttäuschungen.

    Und doch gibt es eine Hoffnung, die weiter trägt.
    Eine Hoffnung, die größer ist als Sorgen und stärker als der Tod.
    Sie sagt: Alles, was an Liebe, Güte und Menschlichkeit gelebt wurde, bleibt.
    Es geht nicht verloren.

    „Auferstehung“ bedeutet: Der letzte Satz unserer Geschichte heißt nicht „Ende“, sondern „Weiter“.
    Diese Hoffnung ist ein Geschenk. Sie schenkt Geborgenheit, Sinn und Perspektive – schon heute.

    Darum dürfen wir sagen:
    Unsere Verbindung bleibt.
    Die Liebe bleibt.
    Und das Wiedersehen kommt – in einer Wirklichkeit, in der wir einander wieder in die Arme schließen.


    2. Lesung am Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel

    Schwestern und Brüder! Christus ist von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen.

    Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.

    Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge: Erster ist Christus; dann folgen, wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören. Danach kommt das Ende, wenn er jede Macht, Gewalt und Kraft entmachtet hat und seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt.

    Denn er muss herrschen, bis Gott ihm alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod. Denn: Alles hat er seinen Füßen unterworfen.

    1 Kor 15, 20–27a

  • Der Abend kommt

    Der Abend kommt, die Nacht zieht Kreise,
    und immer schwächer wird das Licht.
    Der Tag ist müde, legt sich schlafen,
    und Morgen ist noch nicht in Sicht.
    Doch fängt das Dunkel uns auch ein,
    Gott wird ganz sicher bei uns sein.

    Wenn wir in höchsten Nöten leben,
    in tiefster Nacht das Ende sehn,
    wenn nichts und niemand mehr uns tröstet,
    wird Gott uns doch zur Seite stehn.
    In jeder Finsternis, die droht,
    ist Gott bei uns, teilt unsre Not.

    In allen Ängsten, jeder Leere,
    ist Gott bei uns und hüllt uns ein.
    Wenn Dunkelheit auch lange dauert,
    wird Gott noch länger bei uns sein,
    und jeder Nacht, die auch anbricht,
    schreibt Gott die Hoffnung ins Gesicht.

    Gott nimmt uns zärtlich in die Arme,
    in jedem Menschen, der uns liebt,
    in jedem Wort, das uns begleitet,
    in jedem Blick, der Aussicht gibt.
    Denn allen Sorgen dämmert Gott
    und weckt uns auf im Morgenrot.

    Text: Thomas Laubach, Musik: Karl-Bernhard Hüttis, aus: Ruhama-Chorbuch, erweiterte Auflage, 2009, alle Rechte im tvd-Verlag Düsseldorf – GL 704 (Anhang Hamburg, Hildesheim, Osnabrück)

  • Gott liebt auch die Namenlosen

    Denn bei IHM ist niemand verloren. Jeder Mensch ist ein Gedanke Gottes, jede Seele verzeichnet im Himmel – selbst wenn kein Grabstein den Namen trägt.

    Am Rande des Wiener Hafens, versteckt hinter Bäumen und Bahngleisen, liegt ein Ort, der leise vom Leben erzählt: der Friedhof der Namenlosen.

    Hier ruhen Menschen, die einst von der Donau an Land gespült wurden – ohne Namen, ohne Angehörige, ohne Abschied. Und doch nicht vergessen.

    Es ist berührend, dass die Stadt Wien diesen Ort bewahrt und ihn bewusst wild belässt. Das Gras darf wachsen, die Blumen blühen, die Natur darf erzählen.

    Denn dieser Ort erinnert:
    an die Vergänglichkeit des Lebens,
    an die stille Macht des Wassers,
    und an die Hoffnung, dass am Ende die Liebe bleibt.

    Der ursprüngliche Friedhof der Namenlosen wurde längst vom Auwald zurückgenommen. Auch das ist eine Wahrheit:
    Die Natur holt sich alles zurück – nur nicht die Liebe.

  • Warum glauben?

    Ein Dialog über das göttliche Wort, das aus dem Schweigen kommt – und über ein gelingendes Leben

    Am 12. Mai 2025 trafen in Wien zwei geistige Schwergewichte aufeinander: Bruder David Steindl-Rast, Benediktinermönch, Mystiker und Brückenbauer zwischen Ost und West, und Professor Matthias Beck, Arzt, Theologe und Gesundheitsphilosoph. Im Zentrum ihres Dialogs stand die Frage: Warum glauben? Und damit verbunden: Wie kann ein Mensch in dieser zerrissenen Welt sinnvoll, heilsam und glücklich leben?

    Der Glaube – kein Besitz, sondern Beziehung

    Für beide Gesprächspartner ist klar: Glaube ist kein Für-wahr-Halten von Dogmen, sondern ein Vertrauen, ein Sich-Einlassen auf das Geheimnis hinter allem Sichtbaren. Bruder David spricht lieber vom „großen Du“ als von „Gott“, weil das Wort zu oft missverstanden werde. Glaube bedeute, der Beziehung zu allem, was ist, zuzustimmen – ein Ja zum Leben selbst.

    Matthias Beck bringt die Dimension der Vernunft ein: Glaube sei rational verantwortbar, müsse aber immer in gelebter Erfahrung wurzeln. Er warnt vor einem Glauben, der sich in Moral erschöpft, ohne Transformation zu bewirken. Der Mensch sei zur Vergöttlichung bestimmt – ein Begriff aus der frühen Kirche, der heute wieder an Kraft gewinnt.

    Das göttliche Wort – aus dem Schweigen geboren

    Einer der berührendsten Momente des Gesprächs ist Bruder Davids Bezug auf eine Bibelstelle aus dem Buch der Weisheit:

    „Als tiefes Schweigen alles umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab.“
    – Weisheit 18,14–15

    Dieses Bild – das göttliche Wort, geboren im tiefsten Schweigen der Nacht – steht für einen radikalen Perspektivwechsel: Das Entscheidende geschieht nicht im Lärm der Welt, sondern in der Stille. Es ist diese Tiefe, aus der authentisches Leben entsteht.

    Bruder David formuliert es so:

    „Nicht ein Wort, das das Schweigen bricht, sondern ein Wort, in dem das Schweigen zu Wort kommt.“

    Ein Satz, der sich einprägt – und zugleich erinnert an das „Wort, das Fleisch wurde“ (Joh 1,14). Mystik und Fleischlichkeit, Ewiges und Jetzt, berühren sich.

    Wer ist Jesus – und warum ist er heute noch entscheidend?

    Beck betont die Auferstehung als Dreh- und Angelpunkt des christlichen Glaubens: „Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist euer Glaube nutzlos“ (vgl. 1 Kor 15). Für ihn ist Jesus die persongewordene Hoffnung – Gott, der in die Wunden der Welt hinabsteigt, um sie zu heilen.

    Bruder David bleibt offener: Für ihn ist Jesus das Modell einer gottverbundenen Lebensweise, deren Kraft nicht durch historische Beweise, sondern durch gelebte Erfahrung spürbar wird. Das „Christusbewusstsein“, wie er es nennt, könne auch heute in jedem Menschen lebendig werden.

    Was empfehlen die beiden für ein glückliches Leben?

    1. Dankbarkeit üben
    Bruder David nennt sie den Königsweg zu Glück und Erfüllung:

    „Nicht die Glücklichen sind dankbar – die Dankbaren sind glücklich.“

    2. Die Stille suchen
    In einer Welt voller Lärm sei es heilsam, täglich still zu werden, um das „Wort im Schweigen“ zu hören.

    3. Beziehungen pflegen
    Gott ist Beziehung – und der Mensch wird nur heil in Beziehung: zu sich, zu anderen, zur Welt, zu Gott.

    4. Vertrauen wagen
    Beck nennt Vertrauen das „Fundament des Lebens“ – medizinisch, philosophisch, geistlich. Wer vertraut, lebt gesünder, tiefer, hoffnungsvoller.

    5. Der Liebe trauen
    Beide stimmen überein: Die Liebe ist kein Gefühl, sondern eine Entscheidung – das gelebte Ja zur Zugehörigkeit.


    Fazit

    Der Abend ist keine theologische Schulstunde, sondern ein spiritueller Kompass: Glaube bedeutet nicht das Akzeptieren fertiger Antworten, sondern das mutige Gehen eines Weges. Ein Weg, der leise beginnt – im Schweigen der Nacht, in der ein göttliches Wort aufbricht, um neu Mensch zu werden. In uns.

  • Nachruf auf Felix?

    Als christlicher Trauerredner hätte ich auch auf Felix Baumgartner einen Nachruf gesprochen, der den Hinterbliebenen Hoffnung und Trost spendet. Nach ausführlichen Gesprächen mit den Trauernden und einigen Stunden des aufmerksamen Zuhörens war das bisher immer möglich. Die aufrichtige Anteilnahme ist meinem Glauben und meiner Profession geschuldet. Gott verurteilt Taten, die der Liebe widersprechen aber er liebt alle Menschen – bedingungslos und aus reiner Gnade.

    Felix Baumgartner kam am 17. Juli ums Leben.imago/ZUMA Press Wire / Kyle Gustafson

    Persönlich interessiert mich die Frage: „Welche Werte haben wir als Gesellschaft geopfert? Warum schauen sich Menschen einen Sprung aus dem Weltall überhaupt an? Was fasziniert uns, wenn Grenzgänger gegen hohe Gagen den Tod herausfordern?“ Das ist für mich keine moralische Frage. Ich frage ganz utilitaristisch. Welche andere Befriedigung, welchen Genuß haben wir verlernt, wenn wir uns daran berauschen können?

    Eine romantische Operette von Emmerich Kálmán, ein gelungenes Risotto mit Shrimps, Liebe machen mit meiner Frau, ein Spaziergang beim Morgenaufgang oder eine gute Predigt in einer Messe im Stephansdom geben mir mehr als der Sprung eines Stuntman in Überschallgeschwindigkeit.

    Den letzten meiner zehn Geschenklinks für Juli teile ich gerne für diesen sprachlich und inhaltlich großartigen „Nachruf“ von Sebastian Stier in der ZEIT.

  • Es gibt Dich

    Dein Ort ist
    wo Augen dich ansehn.
    Wo sich die Augen treffen
    entstehst du.

    Von einem Ruf gehalten,
    immer die gleiche Stimme,
    es scheint nur eine zu geben
    mit der alle rufen.

    Du fielest,
    aber du fällst nicht.
    Augen fangen dich auf.

    Es gibt dich,
    weil Augen dich wollen,
    dich ansehn und sagen
    dass es dich gibt.

    Hilde Domin (1909–2006), aus: dies., Gesammelte Gedichte, © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1987, 208

  • Wer bist Du Gott?

    .13 Da sagte Mose zu Gott: Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen sagen? 14 Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin, der ich bin. Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der Ich-bin hat mich zu euch gesandt. 15 Weiter sprach Gott zu Mose: So sag zu den Israeliten: Der HERR, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer und so wird man mich anrufen von Geschlecht zu Geschlecht. 16 Geh, versammle die Ältesten Israels und sag ihnen: Der HERR, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, ist mir erschienen und hat mir gesagt: Ich habe sorgsam auf euch geachtet und habe gesehen, was man euch in Ägypten antut. 

    Die Bibel, Exodus 3,13 -16

    Ex 3, 13
Ich bin der ich bin da

    Impuls zur Lesung

    Wer bist du, Gott? Wie heißt du? Sind Namen Schall und Rauch? Im Alten Israel gewiss nicht. Name, Namengebung und Namenänderungen spielen eine große Rolle. Nach altorientalischer Vorstellung wird im Namen Wesen und Wirken des Benannten offenbar. Im Paradies durfte der Mensch den Tieren Namen geben und sie so seinem Lebensbereich eingliedern. Aus Liebe gibt Gott seinen eigenen Namen dem Mose bekannt. „Der Gott eurer Väter“ ist kein neidischer Dämon, kein Rumpelstilzchen, das seinen Namen eifersüchtig geheim halten müsste, um ja nichts von seiner Wirkmacht zu verlieren. Aber wie im Märchen ist auch hier der Name ein Schlüssel-Wort. Es ist ein Schlüssel, der vom Namensträger bewusst in die Hand eines anderen, eines Menschen, eines bedrängten Volkes gelegt wird. Der Name des Herrn ist wirklich, er ist mächtig, er ist wirkmächtig. Nun ist es öffentlich: Ich bin der Ich bin da. Ich komme dir entgegen. Ich hole dich aus dem Verließ, aus deiner Verlassenheit. Ich lasse dich nicht allein: Das ist mein Name für immer.

    Quelle: Magnificat – das Stundenbuch, 17.7.2025, Verlag Butzon & Berker, Kevelaer

  • Wer wird mir zum Nächsten?

    Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter hast du sicher schon oft gehört. Meist wird es so verstanden:
    „Du musst helfen. Du musst der Samariter sein.“

    In der Predigt von P. Johannes Paul Abrahamowicz zu diesem Evangelium wurde mir heute ein anderer Blick geschenkt, den ich gern mit dir teile:

    Du hast selbst einen Nächsten. Einen, der mit dir leidet. Und das ist Jesus.

    Er sieht dich, wenn du verletzt bist, wenn du liegst, wenn du nicht mehr kannst.
    Er bleibt stehen.
    Er hebt dich auf.
    Er trägt dich – durch dein Leid hindurch bis ins Leben.

    Gerade als Trauerredner und geistlicher Begleiter bin ich immer wieder mit fremdem Leid konfrontiert. Ich weiß, wie schwer es ist, mitleidend da zu sein, ohne selbst unterzugehen.

    Diese Predigt erinnert mich daran:
    Ich darf begleiten, trösten, zuhören – aber ich muss nicht alle Schmerzen selbst tragen.

    Der eigentliche Samariter, der unser aller Leid auf sich nimmt, ist Christus selbst. Er leidet mit uns – bis zur Auferstehung.

    Das ist der Trost, den dieses Evangelium heute für mich hat. Was ist für Dich an dieser Predigt hilfreich, entlastend?

    Evangelium und Predigt im Originalton.

    Der barmherzige Samariter als Beispiel

    25 Und siehe, ein Gesetzeslehrer stand auf, um Jesus auf die Probe zu stellen, und fragte ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? 26 Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? 27 Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst. 28 Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben! 29 Der Gesetzeslehrer wollte sich rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? 30 Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen. 31 Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging vorüber. 32 Ebenso kam auch ein Levit zu der Stelle; er sah ihn und ging vorüber. 33 Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam zu ihm; er sah ihn und hatte Mitleid, 34 ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. 35 Und am nächsten Tag holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme. 36 Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde? 37 Der Gesetzeslehrer antwortete: Der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle du genauso! 

    Lk 10, 25–37

    Auslegung zum Evangelium
    Von Basilius von Caesarea

    Dies ist also das erste und wichtigste Gebot der göttlichen Liebe; ein zweites aber ergänzt das erste und ist von ihm erfüllt, in dem wir ermahnt werden, den Nächsten zu lieben; daher folgt: „und den Nächsten wie dich selbst“. Wir bekommen von Gott die Fähigkeit, dieses Gebot zu erfüllen. Wer wüsste nicht, dass der Mensch ein Wesen ist, das auf Liebe und Gemeinschaft und nicht auf Isolation und Härte angelegt ist? Nichts ist nämlich für die menschliche Natur so typisch, wie der Austausch miteinander, das Angewiesensein aufeinander und die Liebe zum Verwandten. Wovon der gütige Herr uns die Samen anvertraut hat, davon verlangt er konsequenterweise die Früchte.

    Von Basilius von Caesarea („der Große“, Bischof, Kirchenlehrer, um 330–379), hier nach: Thomas von Aquin, Catena Aurea. Kommentar zu den Evangelien im Jahreskreis, hg. v. Marianne Schlosser und Florian Kolbinger, 669–670, © EOS Verlag, St. Ottilien, 2. Auflage 2012

  • Psalm 118

    Danket dem Herrn, denn er ist gütig, * denn seine Huld währt ewig!
    So soll Israel sagen: * Denn seine Huld währt ewig.
    So soll das Haus Aaron sagen: * Denn seine Huld währt ewig.
    So sollen alle sagen, die den Herrn fürchten und ehren: * Denn seine Huld währt ewig.
    In der Bedrängnis rief ich zum Herrn; * der Herr hat mich erhört und mich frei gemacht.
    Der Herr ist bei mir, ich fürchte mich nicht. * Was können Menschen mir antun?
    Der Herr ist bei mir, er ist mein Helfer; * ich aber schaue auf meine Hasser herab.
    Besser, sich zu bergen beim Herrn, * als auf Menschen zu bauen.
    Besser, sich zu bergen beim Herrn, * als auf Fürsten zu bauen.
    Ehre sei dem Vater …

    Du unser Gott, in deinem Sohn schenkst du uns dein Leben. Richte uns auf und stärke uns, dass wir deine Wunder verkünden.