Ehe


Inspiriert durch Deng Ming-Dao, „365 Tao: Meditationen für jeden Tag des Jahres“, Arkana Verlag, 1992, Tag 139

Mauer aus Flammen. Brücke aus Tränen.
Schneeflocke auf frisch geschmiedeten Kettengliedern.

Eine Ehe, die Bestand hat, ist kein Zufall. Sie wird geschmiedet – Glied für Glied, unter Hitze, durch Mühe und Hingabe. Wie Eisen, das erst im Feuer der Leidenschaft formbar wird und dann im Wasser der Tränen abkühlt, entsteht aus Nähe und Konflikt eine Verbindung, die trägt.

Es ist schwer, allein durchs Leben zu gehen. Jeder von uns sehnt sich nach Zugehörigkeit, nach einem Du, das mit uns in dieselbe Richtung schaut. Damit das gelingt, braucht es gemeinsame Werte, Ziele, Perspektiven. Ehe ist kein romantisches Dauerfeuer, sondern die Kunst, auch in Stille und Spannung verbunden zu bleiben.

Wir erwarten oft, dass unser Partner zugleich unser bester Freund, Liebhaber und Vertrauter ist – aber wahre Verbindung gründet tiefer. Auch wenn sie äußerlich brüchig scheint, kann in ihr eine Treue leben, die in keiner anderen Beziehung vorkommt. Und doch mahnt uns das Tao: Auch in der stärksten Bindung braucht es Maß, Freiheit, Atem.

Denn jede Beziehung ist endlich. Wer sich krampfhaft aneinander klammert, verliert das klare Sehen. Liebe darf keine Sucht werden. Halten wir niemanden fest. Zwingen wir niemanden, zu bleiben. Definieren wir uns nicht über den anderen. Und doch – wenn das Leben uns erlaubt, ein Stück gemeinsam zu gehen, dürfen wir dankbar sein.

Wenn es Zeit ist, sich zu trennen, dann ist es Zeit. Ohne Reue. Denn die Schönheit der Ehe gleicht einer Schneeflocke: vollkommen im Moment – und doch vergänglich.

Foto: Alexey Kljatov, 2025