Gedanken zum Evangelium vom 1. Adventsonntag (Mt 24,37–44)
… „Dahinter steht aber nicht so sehr eine Droh- und Angstbotschaft, wie es vielleicht manche empfinden, sondern vielmehr eine große Trostbotschaft. Zwar gibt es im Leben Zeichen und Zeiten, die darauf hinweisen, dass alles einmal ein Ende haben kann und wird. Und es gibt auch Zeiten und Ereignisse, wo uns persönliche Tragödien und Schicksalsschläge tief treffen. Aber als Christen wissen wir, dass bei all den ‚Zeichen der Zeit‘, hinter all den Schicksalsschlägen uns ein letztlich immer treuer, naher, liebender und barmherziger Gott zur Seite steht.
Wir glauben als Christen auch, dass er es sein wird, der all das Bruchstückhafte, all das Halbfertige, all das Ungerechte, all die Sehnsüchte wenden und erfüllen wird. Das ist kein billiger Trost, sondern eine Grundaussage der Heiligen Schrift.
Auf diese Botschaft der Hoffnung auf Heil dürfen wir im Leben und durch den Tod hindurch vertrauen.“
Quelle: Pastoralassistentin Christine Gruber-Reichinger in „Die Woche in St. Stephan“, Dompfarre Wien, Ausgabe 1440 vom 28.11.2025
Der erste Advent lädt uns ein, die Zeit nicht als Ablauf, sondern als Beziehung zu verstehen. Hoffnung entsteht nicht durch Verdrängung, sondern durch die Erfahrung, dass unser Leben – gerade in seinen Brüchen – gehalten bleibt. Der Text erinnert daran, dass Trost nicht laut sein muss. Er kann leise kommen, wie ein Grundton. Wer wach bleibt, entdeckt inmitten der Unsicherheit eine stille Nähe, die trägt.
Es gibt Momente, in denen sich die Frage nach dem Wert eines Lebens, eines Gegenstandes oder einer Erfahrung unerwartet scharf stellt. Spätestens dann, wenn Auktionshäuser erneut Rekordpreise verkünden und ein Bild für eine dreistellige Millionensumme den Besitzer wechselt. Solche Ereignisse lenken den Blick auf die Frage, wie und woran wir Wert eigentlich messen. Und ob wir ihn überhaupt messen können.
Die beiden teuersten jemals in Auktionen verkauften Gemälde: Gustav Klimt und der zugeschriebene Leonardo da Vinci.
Die folgenden Thesen markieren einen Weg durch dieses Gelände – nicht als endgültige Antworten, sondern als seismografische Punkte einer Gesellschaft, die sich immer tiefer in symbolische Preisrekorde verstrickt.
Teil 1 – drei Thesen zum Wert der Dinge
**These 1
Was wirklich wertvoll ist, kann niemand kaufen – mit keinem Geld der Welt.**
Der Satz klingt schlicht, ist aber radikal. Denn er verschiebt den Fokus weg von allem, was handelbar ist, hin zu dem, was sich dem Markt entzieht: Zeit, Liebe, Vertrauen, Würde, innere Ruhe. Das sind Werte, die nicht produziert, nicht gelagert und nicht verkauft werden können. Sie entstehen nur, wo Menschen einander begegnen, sich zeigen, sich öffnen.
Philosophen aller Zeiten wussten das. Die antiken Stoiker nannten es das „in unserer Macht Stehende“ – jene inneren Güter, die unabhängig von Umstand und Schicksal bestehen. Christliche Traditionen sprechen von Gnade, Hingabe, geistiger Freiheit. Auch moderne Ökonomen wissen um den „intrinsischen Wert“, der jedem Preisschild entzogen bleibt.
Paradoxerweise wird das Unbezahlbare gerade in einer Zeit inflationärer Preise wieder sichtbar. Je teurer die Dinge werden, desto deutlicher wird, was sich ihrer Logik entzieht. Der eigentliche Wert beginnt dort, wo Geld keine Sprache mehr hat.
**These 2
Bereits ab einem relativ geringen Wert entkoppelt sich der Preis vom realen Wert.**
Der Markt tut selten das, was wir intuitiv annehmen. Er misst nicht den Gebrauch, sondern die Begehrlichkeit. Ein Bild, das 300 Millionen Euro kostet, erhellt keinen Raum mehr als eines für 300 Euro. Eine Uhr für 80.000 Euro zeigt die Zeit nicht präziser an als eine für 80. Und ein Auto für den Preis einer Wohnung bringt uns nicht schneller ans Ziel als eines für den Preis einer Küche.
Ab einer gewissen Schwelle repräsentiert der Preis nicht mehr das Objekt, sondern das Umfeld des Objekts: den Status, die Geschichte, die Seltenheit, die Rolle in einem sozialen Ritual. Menschen kaufen nicht Dinge, sondern Bedeutungen.
Die Entkoppelung von Preis und Wert ist daher keine Anomalie, sondern das Normalverhalten eines Marktes, der nicht Bedarfe misst, sondern Zeichen. Jedes Preisschild über ein paar tausend Euro erzählt weniger vom Gegenstand als vom Käufer.
**These 3
Das Verhältnis zwischen dem Auktionswert eines Bildes und seinem realen Wert ist – wie das Verhältnis zwischen Spitzengehältern und Durchschnittsgehältern – ein Maß für Realitätsverlust. Und ein Indiz fortschreitender Dekadenz.**
Wenn ein CEO das 300-Fache eines Mitarbeiters verdient, sagt das nichts über Produktivität, sondern viel über Machtverteilung. Und wenn ein Gemälde auf einer Auktion für eine halbe Milliarde verkauft wird, sagt das – ebenso – mehr über das Bedürfnis nach Symbolik aus als über künstlerische Bedeutung.
Auktionsrekorde sind Inszenierungen einer globalen Elite, die sich durch spektakuläre Preise gegenseitig ihre Präsenz bestätigt. Sie sind weniger Ausdruck von Kunstwert als Ausdruck von Hybris. Der Kunstmarkt ist nicht krank; er ist symptomatisch für eine Gesellschaft, die Wert und Preis zunehmend verwechselt.
Wo aber Preis und Realität auseinanderdriften, verliert eine Kultur ihren Boden. Das war im Rom der Spätantike nicht anders als im Paris der Belle Époque. Dekadenz zeigt sich nicht zuerst in Lastern, sondern in der Unfähigkeit, zwischen dem Wesentlichen und dem Schmückenden zu unterscheiden.
Teil 2 – Der Wert von Treue
Zwischen Standfestigkeit und Toleranz
Die heutige Lesung ist lange – mehr als drei Minuten. 1 Makk 2, 15–29. Es geht darin um Standfestigkeit, um Treue.
In alter Zeit um eine Treue, für die ein Weiser sogar bereit ist, zu töten. „Dieser Mord entspricht nicht mehr unserem Empfinden für Verhältnismässigkeit“ meinte Dompfarrer Toni Faber. Und das meine ich auch.
Aber die Frage dahinter bleibt bestehen: Wo beginnt meine Standfestigkeit? Wo endet meine Toleranz?
Was akzeptiere ich gerade noch – und wo sage ich klar Nein? Diese Fragen sind im 21. Jahrhundert nicht geringer geworden, sondern subtiler. Treue ist heute keine militante Tugend mehr, sondern eine alltägliche Entscheidung: zu Menschen, zu Werten, zu sich selbst. Vielleicht ist gerade diese stille Form der Treue die schwerste.
Teil 3 – Was wollen Trauernde zurück? Den Toten?
Der Verlust, der bleibt – und der Wert der Zeit
In Gesprächen mit Trauernden kurz nach dem Tod eines geliebten Menschen begegnen mir oft die Sätze: „Ich hätte den Toten so gerne zurück. Wie konnte das geschehen? Warum so früh?“
Das ist der rohe Schmerz des Verlustes, das Entsetzen der ersten Tage, das leere Zimmer, die plötzliche Unerreichbarkeit eines geliebten Menschen. Das tut weh und es dauert manchmal lange bis die Zeit die Wunden heilt.
Wenn ich dieselben Menschen zehn Jahre später wiedersehe, manchmal an der Seite eines neuen Partners, dann erzählt ihr Blick eine andere Wirklichkeit.
Sie wünschen sich nicht mehr den Toten zurück. Sondern die gemeinsame Zeit, die ihnen gefehlt hat.
Die Fragen, die sie damals nicht gestellt haben. Die Wege, die sie nicht mehr miteinander gegangen sind. Der Rosenstrauch, den sie immer pflanzen wollten, aber nie kauften. Das Bild, das sie gemeinsam geliebt, aber nie erworben haben. Die Entschuldigung, die unausgesprochen blieb.
Diese Gespräche mahnen mich an die Achtsamkeit im Umgang mit meiner Zeit. Und an die Behutsamkeit im Umgang mit der gemeinsamen Zeit von Yuliya und mir – gerade heute, an ihrem 41. Geburtstag.
Vielleicht ist es das, was Trauer uns lehrt: Der wahre Wert eines Menschen ist nicht seine Anwesenheit, sondern die Intensität der gemeinsam gelebten Augenblicke.
Was ist also das Wertvollste?
Vielleicht ist die Frage leichter gestellt als beantwortet. Doch jede Antwort, die nicht käuflich ist, weist in dieselbe Richtung:
Das Wertvollste ist das,
was sich nicht anhäufen lässt,
was nur in Beziehung existiert,
was sich nicht verkaufen und nicht vererben lässt,
was mit dem Menschen wächst und mit ihm vergeht.
Zeit. Liebe. Vertrauen. Würde. Bewusstheit. Mitgefühl. Und die Treue zu dem, was uns wirklich betrifft.
(Und natürlich die Gesundheit. Ein eigenes Thema für eine eigene Reflexion.)
All das sind Werte, die nicht an Märkte gebunden sind. Und vielleicht liegt genau darin ihre stille Kraft: Sie lassen sich nicht besitzen, sondern nur dankbar leben.
Heute wurde Yuliya und mir wieder einmal sehr deutlich, wie dankbar und glücklich wir sind. Die Gedanken von Papst Leo auf Radio Vatikan, die Predigt von Caritaspräsident Michael Landau auf Radio Klassik Stephansdom und die Begenung mit ihm heute in der Sakristei, das Mitfeiern der Orgel-Messe im Stephansdom um 12:00 und dann abends das Transkribieren der Predigt meines Freundes P. Johannes Paul OSB – all das macht das Herz weit und macht es uns leicht, Menschen froh und liebevoll zu begegnen und sie im Stillen zu segnen.
Papst Leo XIV. – Botschaft zum Welttag der Armen (2025)
Papst Leo XIV. eröffnet seine Botschaft mit dem Ruf des Psalmisten: „Du bist meine Hoffnung, Herr und Gott“ (Ps 71,5). Gerade der Arme, dessen Leben von „Entbehrungen, Gebrechlichkeit und Ausgrenzung“ geprägt ist, kann zum Zeugen einer starken und verlässlichen Hoffnung werden. Seine Hoffnung ruht nicht auf Besitz oder Macht, sondern auf Gott.
Der Papst betont eine zentrale Wahrheit: „Die schlimmste Armut ist, Gott nicht zu kennen.“ Reichtum ohne Gott mache leer; menschliche Sicherheiten seien täuschend. Hoffnung hingegen ist für Leo XIV. ein Anker, der im Versprechen Christi wurzelt.
Entscheidend ist die Verbindung von Hoffnung und Verantwortung: Armut hat strukturelle Ursachen, die bekämpft werden müssen. Den Armen zu helfen ist „zuerst eine Frage der Gerechtigkeit, dann der Nächstenliebe“. Die Armen seien die „am meisten geliebten Brüder und Schwestern“ der Kirche – nicht Objekte, sondern Subjekte der Evangelisierung.
Der Welttag der Armen ruft die ganze Kirche dazu auf, die Armen in das Zentrum von Liturgie, Verkündigung und Caritas zu stellen. Das Heilige Jahr 2025 solle Initiativen hervorbringen, die Menschen dauerhaft aus Armut führen: durch Arbeit, Wohnung, Bildung, Gesundheit – nicht durch Waffen oder Abschottung.
Am Ende erinnert der Papst an den uralten Lobgesang des Vertrauens: „In Te, Domine, speravi – Auf dich, o Herr, habe ich meine Hoffnung gesetzt.“
Michael Landau – Predigt zum Welttag der Armen
(Domkustos & europäischer Caritas-Präsident)
Michael Landau beschreibt die Gegenwart als Zeit eines „Einbruchs der Wirklichkeit“: Kriege, Klimakrise, soziale Verwerfungen, digitale Überforderung. Doch er widerspricht jeder Angstlogik: „Hoffnung ist ein Muskel.“ Sie wächst, wenn wir sie üben und unsere Aufmerksamkeit auf Chancen statt Gefahren richten.
Über Österreich spricht Landau in einem Satz, der hängen bleibt: „Wir haben in der Geburtsortslotterie einen Haupttreffer gezogen.“ Dankbarkeit verpflichtet. Der „hohe Grundwasserspiegel der Solidarität“ sei ein Schatz, den es politisch und gesellschaftlich zu schützen gelte. Sparmaßnahmen müssten „sozial gerecht“ bleiben und das „soziale Augenmaß“ wahren.
Im Zentrum seiner Predigt steht die Theologie der Armen: „Die Armen sind keine Zusatzbeschäftigung der Kirche.“ Caritas ist Wesensausdruck der Kirche. Die steigende Zahl von Menschen, die in Wien Lebensmittelhilfe benötigen, zeigt die Dringlichkeit. Doch Landau sieht dort auch Hoffnung – dank Freiwilligen, Engagierten und Spendern.
Für ihn verbindet sich die Erwartung Christi nicht mit Weltflucht, sondern mit Verantwortung: Diese Zeit ist uns anvertraut. Christlicher Glaube zeigt sich im Einsatz für Gerechtigkeit und im Mut zur Solidarität.
🎧 Predigt Michael Landau
Domkustos von St. Stephan & europäischer Caritas-Präsident
P. Johannes Paul Abrahamowicz OSB – Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis
(Priestermönch im Stift Göttweig)
P. Johannes Paul (JP) stellt klar: Die Bibeltexte dieses Sonntags wollen nicht Angst erzeugen. Angst entsteht dort, wo man nur die dunklen Verse liest. Doch das Evangelium spricht von Hoffnung: „Für euch aber, die ihr mich liebt, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen.“
JP kritisiert die „Angstmacher“, die nur Drohverse zitieren. Die Botschaft Jesu sei jedoch eine der Gelassenheit: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.“ Standhaftigkeit entsteht für JP nicht durch Selbstdisziplin, sondern durch Beziehung. Jesus sagt: „Ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben“ – aber nur, wenn man im Alltag mit ihm verbunden bleibt.
Der Vergleich, den JP wählt, ist alltäglich und tief: Die Beziehung zu Gott ist wie die Liebe zu einem vertrauten Menschen, den man oft im Herzen trägt – so sehr, dass man manchmal spürt, wenn er anruft. Wer so mit Gott verbunden ist, fürchtet sich nicht, verliert nicht die Fassung und bleibt handlungsfähig.
JP schließt: Es geht nicht um Angst. Es geht um Beziehung. Wer die Liebe Gottes annimmt, kann auch sich selbst annehmen – und frei leben.
Eine Frau liegt im Sterben. Ein Mann will sie retten. Ein Apotheker verlangt den Preis des Lebens. Und die Moral? Sie steht ratlos daneben. Und wenn es im Heinz-Dilemma gar nicht um Ethik ginge?
Der Psychologe Lawrence Kohlberg entwarf in den fünfziger Jahren eine Versuchsanordnung, die bis heute in Ethikseminaren zitiert wird: das Heinz-Dilemma. Eine Frau leidet an einer tödlichen Krankheit. Es gibt ein Medikament, das helfen könnte, doch der Apotheker verlangt das Zehnfache seiner Kosten. Der Ehemann Heinz bittet, verhandelt, fleht – vergeblich. Schließlich überlegt er, ob er einbrechen und das Mittel stehlen soll.
Soll er?
Kohlberg wollte mit dieser Frage nicht Moral lehren, sondern Moral messen. Entscheidend war nicht, was jemand antwortet, sondern warum. Wer sagt: „Er darf nicht stehlen, sonst kommt er ins Gefängnis“, denkt anders als jemand, der meint: „Ein Menschenleben zählt mehr als Eigentum.“ Moral, so Kohlberg, entwickelt sich in Stufen – von der Furcht vor Strafe bis zur Einsicht in universelle Werte.
Wenn das Medikament nicht heilt
Doch in dieser berühmten Versuchsanordnung fehlt eine entscheidende Unbekannte: Was, wenn das Medikament gar nicht hilft? Wenn es nur das Leiden verlängert – oder das Sterben?
Dann verschiebt sich der moralische Brennpunkt. Dann geht es nicht mehr darum, ob Heinz das Richtige tut, sondern was „richtig“ überhaupt heißt.
Ist Leben immer der höchste Wert? Oder wird es erst durch Sinn und Liebe heilig?
In solchen Momenten reicht die Vernunft nicht mehr. Sie macht Platz für das Ringen des Herzens, das nicht loslassen kann – selbst wenn Loslassen der letzte Liebesdienst wäre.
Zwischen Gesetz und Gnade
Vielleicht liegt Heinz’ wahres Dilemma gar nicht im Gesetz, sondern im Glauben. Nicht, ob er einbrechen darf, sondern ob er glaubt, das Leben seiner Frau liege in seinen Händen. Und vielleicht liegt das Unrecht nicht beim Apotheker, sondern in der Logik, mit der wir Leben bemessen – als wäre es handelbar, verlängerbar, verfügbar.
Was ist der Wert eines Menschenlebens, wenn es zugleich unbezahlbar und unhaltbar ist?
In Gottes Zeit
Am Ende werden wir alle vorausgehen. Für manche von uns leben unsere Seelen weiter. Und wir werden uns wieder umarmen – in Gottes Zeit.
Dieses Vertrauen ist Gnade und verwandelt das Dilemma. Nicht zu einer Lösung, sondern zu einem Trost. Denn wenn Heilung nicht mehr im Diesseits liegt, wird das Stehlen sinnlos – und die Liebe heilig.
Heinz bleibt Mensch – zwischen Hoffnung und Hingabe. Und Gott bleibt Gott – jenseits aller Rechnungen.
Über den Autor: Harald R. Preyer ist Coach, geistlicher Begleiter und Trauerredner in Wien. Er begleitet Menschen an Lebenswenden .
Heute habe ich zwei Urnen-Beisetzungen begleitet. Zwei Friedhöfe, zwei sehr verschiedene Familien – und doch hatten sie etwas gemeinsam: In beiden Feiern war Gott „verboten“. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung, aus Schmerz – vielleicht Wut. Aus der Frage, die manchmal Menschen quält: Wie kann Gott so etwas zulassen?
Ich habe darauf keine Antwort. Aber ich habe gespürt, dass Dankbarkeit hilft. Dankbar zu sein für das, was war – für gemeinsame Stunden, für Liebe, für das, was bleibt.
In einer der Feiern durfte ich den Liebesbrief einer jungen Witwe lesen. So zart, so echt. Im Gesicht der Eltern sah ich für einen Moment wieder ein Leuchten.
Vielleicht war das der Augenblick, in dem Gott doch da war – ganz leise.
Manchmal glaube ich, unser Auftrag als Seelsorger, als Redner, als Menschen ist nicht, Antworten zu geben. Sondern Herzen zu berühren. Menschen daran zu erinnern, dass Liebe stärker ist als Tod. Und dass Dankbarkeit die Tür zur Hoffnung öffnet.
Ob Glaube glücklich macht? Vielleicht ja – wenn wir ihn nicht verteidigen, sondern leben. Still, herzlich, menschlich.
Wie groß ist deine Güte, Herr, die du bereithältst für alle, die dich fürchten und ehren; du erweist sie allen, die sich vor den Menschen zu dir flüchten. Du beschirmst sie im Schutz deines Angesichts vor dem Toben der Menschen. Wie unter einem Dach bewahrst du sie vor dem Gezänk der Zungen.
Gepriesen sei der Herr, der wunderbar an mir gehandelt und mir seine Güte erwiesen hat zur Zeit der Bedrängnis. Ich aber dachte in meiner Angst: Ich bin aus deiner Nähe verstoßen. Doch du hast mein lautes Flehen gehört, als ich zu dir um Hilfe rief.
Psalm 31, Verse 20–25
Impuls
Wie oft glauben wir in der Not, Gott habe uns vergessen. Doch später – manchmal erst viel später – erkennen wir: Er war da, auch im Schweigen, auch in der Angst. Dankbarkeit wächst aus dieser Rückschau: „Du hast mein lautes Flehen gehört.“
Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht. Christus, meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht.
Taizé nach Jes 12,2 – GL 365
Impuls
Manchmal reicht ein einziger Satz, um uns innerlich zu halten: „Auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht.“ Dieser einfache Vers aus Taizé ist wie ein Atemgebet – ein leises Ja zu Gott mitten in der Angst. Er erinnert uns: Vertrauen ist kein Gefühl, sondern eine Entscheidung. Und wer sie trifft, spürt: Es trägt.
Seit 1995 ist „Magnificat – das Stundenbuch“ mein täglicher Begleiter. Die drei Gebetszeiten mit den Texten der römisch katholischen Kirche zu jedem Tag tun mir einfach gut.
Es ist ein wunderbares Gefühl in einer Gebetsgemeinschaft geborgen zu sein, die geschätzte 40 Millionen Menschen umfasst. Das sind die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter der römisch katholischen Kirche weltweit.
Wir alle beten in unseren Zeitzonen und Sprachen jeden Tag ähnliche Gebete und lesen die gleichen Texte – seit bald 2000 Jahren.
Und selbst mit den christlichen Familienmitgliedern, die sich im Laufe der Jahrhunderte von Rom entfernt haben, sind wir bis heute durch die gleichen Gebete zum selben Gott verbunden.
Zum Gedenktag des hl. Ignatius von Antiochia – Freitag, 17. Oktober 2025
(Welttag gegen Armut und Ausgrenzung)
Lesung aus dem Morgengebet: 1 Petr 1, 6–9
Ihr seid voll Freude, obwohl ihr jetzt vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen leiden müsst. Dadurch soll sich euer Glaube bewähren, und es wird sich zeigen, dass er wertvoller ist als Gold, das im Feuer geprüft wurde und doch vergänglich ist. So wird eurem Glauben Lob, Herrlichkeit und Ehre zuteil bei der Offenbarung Jesu Christi. Ihn habt ihr nicht gesehen, und dennoch liebt ihr ihn; ihr seht ihn auch jetzt nicht; aber ihr glaubt an ihn und jubelt in unsagbarer, von himmlischer Herrlichkeit verklärter Freude, da ihr das Ziel des Glaubens erreichen werdet: euer Heil.
Das Feuer, das reinigt
Manchmal führt das Leben uns durch ein Feuer. Wir verlieren Menschen, Sicherheiten, Träume. Und mitten in der Trauer fragen wir: Warum muss das so weh tun?
Die alten Griechen nannten dieses Durchgehen durch Schmerz Katharsis – Reinigung, Läuterung. In ihren Dramen war das Erleben von Leid kein Selbstzweck, sondern der Weg zu neuer Klarheit, zu Menschlichkeit. Erst wer Tränen zulässt, kann sich verwandeln.
Auch die Bibel spricht in diesem Sinn: Der Glaube ist wie Gold, das im Feuer geprüft wird. Nicht das Feuer zerstört ihn, sondern es bringt seine Reinheit zum Vorschein.
Ignatius – der Gottesträger
Am heutigen Tag erinnert uns die Kirche an Ignatius von Antiochia, einen der ersten Zeugen des Glaubens. Auf seiner schweren Reise in die Gefangenschaft schrieb er Briefe voller Zuversicht. Er nannte sich selbst Theophoros, den „Gottesträger“. Er wusste: Gott verlässt uns nicht im Leid – er trägt uns hindurch.
Trost, der verwandelt
Trauer kann zu einer heiligen Katharsis werden. Nicht, weil der Schmerz an sich gut wäre, sondern weil er das Herz öffnet. Er macht uns empfänglich für das, was bleibt: Liebe, Mitgefühl, Dankbarkeit, Tiefe.
Wenn wir den Mut haben, durch die Trauer zu gehen, anstatt sie zu umgehen, dann geschieht etwas leise Wunderbares: Aus Tränen wächst Frieden. Aus Verlust wächst Liebe. Und aus der Dunkelheit wächst neues Leben.
Trost heißt nicht, den Schmerz zu leugnen – sondern in ihm Gott zu begegnen. Denn Gott ist Liebe. Und Liebe siegt immer.