Schlagwort: Liebe

  • Unsere Berufung bleibt die Liebe

    In seiner Predigt am 23. Sonntag im Jahreskreis C betont P. Johannes Paul Abrahamowicz OSB , dass das heutige Evangelium (Lk 14,25–33) nicht wörtlich verstanden werden darf. Jesus fordert nicht, Eltern, Kinder oder Ehepartner „gering zu achten“. Vielmehr spricht Lukas von der Situation, dass Jesus nach Jerusalem geht, um verurteilt und getötet zu werden.

    „Nachfolge“ in diesem Sinn heißt: Wer ihm bis dorthin folgen will, muss bereit sein, das Vergängliche loszulassen und sogar den Tod anzunehmen.

    Allgemeine Nachfolge meint Gott und alle seine Geschöpfe zu lieben. Radikale Nachfolge geht bis zum Martyrium.

    Die allgemeine christliche Berufung bleibt die Liebe – zum Vater, zur Schöpfung und zu den Mitmenschen. Nur im besonderen Fall von Verfolgung und Martyrium geht es um diese radikale Nachfolge.
    Die Botschaft: Alles Vergängliche ist dem Unvergänglichen nachgeordnet. Aber unsere erste Aufgabe bleibt die Liebe.

    Evangelium und Predigt im Originalton


    07.09.2025 · Kardinal Christoph Schönborn · Gedanken zum Evangelium

    „ERFOLGSREZEPT“ CHRISTENTUM

    Jesus verlangt nicht, dass wir unsere Familie verachten. Er fordert uns heraus, alles Vergängliche dem Unvergänglichen unterzuordnen. Nachfolge heißt: bereit sein, Besitz, Sicherheit und sogar das eigene Leben hintanzustellen, wenn es um Christus geht.

    Schon damals war das kein „Werbeprogramm“, sondern radikal. Und doch zog es Menschen an – weil es Befreiung von Zwängen bedeutete und Orientierung gab. Christenverfolgungen machten deutlich: Nachfolge kostet etwas, aber sie schenkt inneren Frieden und Hoffnung.

    Christsein bleibt anspruchsvoll – aber gerade darin liegt seine Kraft.

    zum Originaltext

  • Zartes Hoffen

    Abschied naht
    Tod kommt
    Trauer wandelt
    Hoffnung keimt
    Freude blüht
    Liebe bleibt

  • Herausgerufene

    Wer ist herausgerufen? – Wohin?

    Das Wort ekklesia ((griech. ἐκκλησία; lat. ecclesia) bedeutet „die Herausgerufenen“. Damit ist gemeint: Gott ruft Menschen aus etwas heraus – und zugleich in etwas Neues hinein.

    • Aus der Finsternis – hin zum Licht Gottes (vgl. 1 Petr 2,9).
    • Aus der Vereinzelung – hin zur Gemeinschaft. Kirche ist nie nur „ich und Gott“, sondern immer auch „wir miteinander“.
    • Aus der Vergänglichkeit – hin zur Vollendung. Gott ruft nicht nur die Lebenden, sondern auch die Verstorbenen und die Kommenden in seine Liebe.

    So ist Kirche ein einziger großer Strom von Menschen, die in Liebe herausgerufen und in Christus miteinander verbunden sind.


    Raffaels „Disputà del Sacramento“

    Raffaels Fresko Disputà del Sacramento (1509–1510, Vatikanische Museen) gilt als eine der eindrucksvollsten bildlichen Darstellungen des Kirchenverständnisses. Der Titel ist irreführend – es geht nicht um Streit, sondern um die Darstellung der einen, in Christus geeinten Kirche.

    Raffael Sanzio da UrbinoDisputà del Sacramento, Fresko, 1509–1510, Vatikanische Museen.

    Der obere Teil – die himmlische Kirche

    Im Zentrum thront die Dreifaltigkeit.

    • Gott Vater im Scheitel des Bildbogens, als würdevoller alter Mann mit langem Bart.
    • Christus, sein Sohn, als Richter und Erlöser, mit den Wundmalen und einem aufgeschlagenen Evangelienbuch zu seinen Füßen.
    • Der Heilige Geist in Gestalt einer Taube, die Christus und den Vater verbindet.

    Um dieses Zentrum gruppieren sich Maria, Johannes der Täufer, Apostel, Propheten und Heilige. Sie repräsentieren die vollendete Kirche, die schon jetzt in der Schau Gottes lebt.

    Der untere Teil – die irdische Kirche

    Auf Erden versammelt sich eine Schar von Kirchenvätern, Theologen und Gläubigen. Sie stehen um einen Altar, auf dem eine Monstranz mit der konsekrierten Hostie steht.

    • Links sind unter anderem die Kirchenväter Hieronymus und Gregor der Große zu erkennen.
    • Rechts zeigen sich Gestalten wie Augustinus und Ambrosius.
    • Hinter ihnen sind spätere Theologen und Vertreter der Kirche dargestellt, die den Glauben im Lauf der Jahrhunderte ausgelegt haben.

    Die Szene macht sichtbar: Die irdische Kirche lebt aus dem Sakrament der Eucharistie, in dem Christus selbst gegenwärtig ist. Durch dieses Sakrament ist sie untrennbar mit der himmlischen Kirche verbunden.

    Die Einheit von Himmel und Erde

    Raffael spannt so einen großen Bogen: Himmel und Erde sind nicht getrennt, sondern gehören zusammen. Die himmlische Gemeinschaft der Vollendeten und die pilgernde Kirche auf Erden bilden zusammen die eine ekklesia – die in Liebe Herausgerufenen.


    Herausgerufene – wir alle?

    Kirche – das sind nicht nur Institutionen, Gebäude oder Traditionen. Kirche – das sind alle Menschen, die auf die Liebe Gottes vertrauen und darum das Unrecht verabscheuen.


    ekklesía (griech. ἐκκλησία; lat. ecclesia)

    • Grundbedeutung: „Herausgerufene“, „Versammlung“, „Gemeinde“.
    • Wortstamm: von griech. ek-kalein = herausrufen, zusammenrufen.
    • Antike Verwendung: Volksversammlung in den griechischen Stadtstaaten.
    • Neutestamentlich: Bezeichnung für die Gemeinschaft der an Christus Glaubenden; Kirche.
    • Theologisch: ekklesía meint die von Gott in Christus berufene Gemeinschaft – die pilgernde Kirche auf Erden, die vollendete im Himmel und die in Hoffnung noch kommenden.

    Quellen

    • Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 946–962 (Communio sanctorum).
    • Raffael Sanzio da UrbinoDisputà del Sacramento, Fresko, 1509–1510, Vatikanische Museen.
    • Johannes Bernhard Uphus, Beitrag in Magnificat – Das Stundenbuch, Ausgabe 09/2025.
    • Heinz Detlef Stäps, Beitrag in Magnificat – Das Stundenbuch, Ausgabe 09/2025. Als Originaltext (s.u.) übernommen mit freundlicher Zustimmung des von mir sehr geschätzten Autors.

    Die himmlische und die irdische Kirche

    Originaltext von Domkapitular Dr. Heinz Detlef Stäps

    Der Titel unseres Umschlagbildes ist irreführend: „Disputà del Sacramento“ (Streitgespräch um das Sakrament). Auch wenn viele der Dargestellten wild gestikulieren und sich einander zum Teil mit heftigen Bewegungen zuwenden, geht es hier nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung. Die Bewegungen sind als Stilmittel Raffaels zu werten, der auf diese Weise seiner Darstellung so vieler Personen Dynamik und innere Spannung verleiht.
    Um das Bild zu verstehen, muss man es von oben nach unten lesen.

    Das Zentrum: die Dreifaltigkeit

    In einen gewaltigen gemalten Bogen, der sich in die Architektur des Raumes einfügt, ist das Fresko hineinkomponiert. Direkt unter dem Scheitelpunkt des Bogens ist als oberste Person auf der Mittelachse Gott-Vater zu sehen. Es ist ein alter Mann mit langem, weißem Bart. Eine blaue, runde Sphaera in der Hand, einen quadratischen, goldenen Heiligenschein auf dem Haupt, segnet er die Betrachter. Die Himmelskugel und das Viereck (vier Himmelsrichtungen) stehen für Himmel und Erde als allumfassendes Herrschaftsgebiet Gottes.

    Im ersten Jahrtausend wurde Gott-Vater nicht dargestellt. Oft wurde er mit der Gestalt Christi verbunden, denn diesen konnte man als einen Menschen darstellen. Ab dem 12. Jahrhundert beginnt die christliche Kunst, beide klar voneinander zu trennen, und findet für Gott-Vater diese Darstellungsweise, wobei man sich auf Dan 7, 9 bezogen haben mag: „… da wurden Throne aufgestellt und ein Hochbetagter nahm Platz. Sein Gewand war weiß wie Schnee, sein Haar wie reine Wolle.“

    Zur selben Zeit, als Raffael in den Stanzen des Vatikan an seinem Freskenzyklus malte, lag Michelangelo nebenan auf seinem Gerüst unter der Decke der Sixtinischen Kapelle und malte seinen Schöpfungszyklus. Auch hier ist Gott-Vater als alter Mann mit langem, weißem Bart zu sehen, wenn auch tänzerisch bewegt. Besonders die Darstellung auf der berühmten Erschaffung des Adam hat dieses Gottesbild tief in das kollektive Gedächtnis der Christenheit gebrannt.

    Wir mögen dies heute kritisieren: Gott ist weder Mann noch Frau, weder alt noch jung, er steht über diesen Kategorien des Menschseins. Wir denken heute eher an das biblische Gebot, dass wir uns kein Bild machen sollen (vgl. Dtn 5, 8; die neue Einheitsübersetzung macht deutlich, dass es hier um Kultbilder geht, um die Anbetung des Materiellen).

    Christus als Apoll

    Wiederum in der Mittelachse, vor einem gewaltigen goldenen Strahlenrad, dessen blauer Rand mit Engelsköpfen besetzt ist, sitzt Christus auf einer Wolkenbank mit einem weißen Gewand, das nur den Unterkörper und den linken Oberarm bedeckt. Der Rest bleibt nackt. Theologisch ging es darum, die Wundmale des Gekreuzigten darzustellen; deshalb wendet Christus seine Handflächen dem Betrachter zu, und auch die Seitenwunde ist gut zu erkennen. Der in der Sphäre Gottes thronende Christus ist derselbe, der auf Golgota am Kreuz hingerichtet wurde. Künstlerisch ging es darum, an die Antike anzuknüpfen und den Erlöser mit der Lichtgestalt des Apoll zu verbinden. Kurz zuvor war in Rom die Statue des Apoll von Belvedere ausgegraben worden und erregte viel Aufsehen, gerade unter den in Rom tätigen Künstlern. Bei Raffael gehen die heroische Nacktheit und die apollinische Schönheit eine Verbindung ein, um Christus als den Lichtbringer der Welt, als Sonne der Gerechtigkeit zu zeigen. Diese Lichtfülle setzt sogar Gott-Vater darüber ins Dunkel.
    Neben ihm sind Maria, die Mutter Jesu, und Johannes der Täufer zu sehen, die traditionelle Gruppe der Deesis, die den Weltenrichter für die Menschheit bitten. Maria scheint auf dem gesamten Fresko die einzige Frau zu sein!
    Viel kleiner darunter, ebenfalls in der Mittelachse, aber wiederum von einem Strahlenkranz hinterlegt, schwebt die Taube als Symbol des Heiligen Geistes und bildet die geometrische Mitte des gesamten Freskos.
    Auf der Höhe der Geisttaube ist ein Wolkenband zu sehen, das die gesamte Bildbreite durchzieht und nach hinten einen Halbkreis zieht. Auf diese Weise täuscht es eine apsidiale Wölbung vor, der Bildgrund ist aber ganz flach. Das Wolkenband dient als Sitzbank für Heilige und Gestalten aus dem Alten Testament, die sozusagen den himmlischen Teil der Kirche bilden, die Menschen, die nach einem beispielhaften Erdenleben bei Gott weilen. Dieses Wolkenband ist die Trennungslinie zwischen Himmel und Erde. Wenn man genau hinschaut, wird es von Engeln in Grisailletechnik gebildet, wie überall in der himmlischen Sphäre Engel zu finden sind. Sie sind die Bewohner des Himmels, der Hofstaat Gottes.

    Die irdische Kirche

    Die Männer unterhalb des Wolkensaums als Vertreter der irdischen Kirche (Päpste, Bischöfe, Ordensleute, Theologen) könnten einzeln benannt und sogar teilweise als Portraits von Zeitgenossen Raffaels gezeigt werden, doch dazu ist hier leider nicht der Platz. Sie diskutieren nicht, sondern sie weisen einander auf das Wunder hin, das wiederum in der Mittelachse auf einem Altar zu sehen ist: Eine Monstranz birgt die Hostie, die eucharistische Gestalt des Herrn. Auf diese Weise ist alles, was im oberen Teil als nicht sichtbar gezeigt wird, in unserer irdischen Realität erahnbar. Da dies nicht einfach so auf der Hand liegt, sondern ein Mysterium, ein Geheimnis bleibt, hat Raffael zur Verdeutlichung einen unentwirrbaren Knoten auf das Antependium vor dem Altar gemalt.
    Denn auch in der Kirche gibt es Zweifel, Unvollkommenheiten, Irrwege und Schuld. Links ist deshalb eine Gruppe von Theologen zu sehen, die in das Studium eines Buches vertieft ist und von einem jungen Mann eingeladen wird, sich lieber der lebendigen Wirklichkeit Christi auf dem Altar zuzuwenden. Eine erstaunlich kritische Formulierung gerade in der Bibliothek des Papstes! Hinter dieser Gruppe ist auf einem kleinen Hügel der Bau einer Kirche zu sehen. Dies weist zum einen wahrscheinlich auf den Bau von Neu-St. Peter in Rom hin, zum anderen aber auf die mystische Kirche, die immer im Bau ist, niemals fertig sein kann, weil sie von Menschen gebaut wird und nur Gott ihr die Vollendung schenken kann.

    Heinz Detlef Stäps

  • Die Liebe bleibt

    In jedem Herzen lebt ein reines Kind – unzerstörbar, voller Licht.
    Christus hat am Kreuz den Tod überwunden und uns gezeigt:
    Dieses Kind in uns bleibt lebendig.

    Darum gilt:
    Die Liebe stirbt nicht.
    Sie lebt.
    Sie siegt.

    Ist dieses Kind die Seele?
    Ist Gott diese Liebe?

    Zu diesen Gedanken hat mich der Impuls zur Herz-Meditation im heutigen Kapitel 242 von „365 Tao“ inspiriert. Wir lesen dieses Buch heuer in unserer Männerrunde.

    Stell dir dein Herz als eine sich öffnende Lotusblüte vor. Aus ihrer Mitte entsteigt ein purpurnes Kind, Rein, unberührt und unschuldig. Eine Meditation gibt diese Anweisung: Stell dir vor, dein Herz öffnet sich in einer roten Lotusblüte. Aus ihrer Mitte entsteigt ein purpurnes Kind. Bringe dieses Kind aus deinem Körper und stell dir vor, wie es über dir schwebt. Du, als Kind, hältst in jeder Hand eine Sonne, während deine Füße auf zwei Monden stehen. Halte dieses Bild so lange wie möglich. Es ist schwer, dieses Kind zum Vorschein zu bringen. Bei dem Versuch erkennt man, wie viele Mauern man um sich errichtet hat. Man erkennt auch, wie die Erfahrungen der Jugend und des Erwachsenenalters ihre Spuren hinterlassen haben. Manchmal bezweifelt man vielleicht, ob man überhaupt ein reines und unschuldiges Selbst hat, das man noch zum Vorschein bringen könnte. Aber es ist in jedem von uns. Jeder von uns muss dieses purpurne Kind finden und hervorholen. Weil dieses Kind eine Zeit verkörpert, in der unsere Energie heil war und unser Herz die Doppelzüngigkeit nicht kannte, die die Welt und uns trübt.

    Deng, Ming-Dao. 365 Tao: Meditationen für jeden Tag des Jahres (Tag 242).

  • ihn sehen, wie er ist

    Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es. Liebe Brüder, jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.

    1 Joh 3, 1a.2

    Wir alle sind Kinder der Liebe. Und Gott ist die Liebe. Also sind wir Kinder Gottes. Es ist dabei gar nicht so wesentlich, ob wir an Gott glauben. Wir brauchen nur aus Liebe zu handeln, dann sind wir erlöste Kinder Gottes.

  • Trauerrede für Xariel

    Liebe Trauergemeinde,

    wir nehmen heute Abschied von einem ganz besonderen Wesen. Sein Name war Xariel – ein Reisender zwischen den Sternen, ein Gast aus weiter Ferne, ein Bruder in Gottes Schöpfung.

    Xariel war vieles, aber sicher nicht gewöhnlich. Er stammte aus einer fernen Galaxie, von einem Planeten, den er „Lira-7“ nannte. Dort, so erzählte er, gab es Himmel mit drei Sonnen, Meere, die im Dunkeln leuchteten, und Pflanzen, die miteinander sangen, wenn der Wind durch ihre Blätter strich. Schon als junger Xariel liebte er es, durch diese Klangwälder zu streifen. Seine Freunde lachten oft über ihn, weil er den Sternen Lieder vorsummte – so, als wären sie seine älteren Geschwister.

    Er war neugierig, voller Fragen, voller Sehnsucht nach dem Unbekannten. Auf Lira-7 galt er als Träumer, einer, der nicht nur wissen wollte, wie etwas funktioniert, sondern auch, warum es schön ist. Vielleicht war es diese Mischung aus Neugier und Sehnsucht, die ihn irgendwann auf den Weg schickte, hinaus ins All.

    Seine Reise dauerte Jahrtausende. Aber für Xariel war Zeit nie das Entscheidende. Er sagte einmal: „Wenn ich die Sterne sehe, vergesse ich, wie lange ich unterwegs bin. Ich weiß nur: Jeder Stern ist ein Gruß meines Schöpfers.“

    Hier auf der Erde war er ein Fremder, ja – aber nie ein Feind. Die, die ihm begegneten, spürten: Er hatte Humor. Er konnte herzlich lachen, wenn er unsere Eigenheiten beobachtete. Wie wir Menschen uns wichtig nehmen, wie wir über Staus schimpfen, wie wir Kaffee brauchen, um morgens wach zu werden – das amüsierte ihn köstlich. Und doch war in seinem Lachen nie Spott, sondern eine zärtliche Verwunderung.

    Xariel lebte still und aufmerksam. Er liebte es, am Wasser zu sitzen und die Spiegelung des Himmels zu betrachten. Er war kein Kämpfer, kein Eroberer, sondern ein Sammler von Eindrücken. Er wollte verstehen. Und vielleicht – ja, das glaube ich – wollte er auch uns Menschen verstehen.

    Heute verabschieden wir ihn. Wir tun es mit einem Lächeln und mit einem Kloß im Hals. Denn dieser Besucher aus den Sternen hat uns gezeigt: Leben ist größer als wir ahnen.


    1. Gottes Universum ist größer als unser Denken

    Die Bibel beginnt schlicht: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (Gen 1,1).
    Für die Menschen damals war das alles, was es gab. Für uns heute bedeutet es: Milliarden Galaxien, Sterne ohne Zahl – und Wesen wie Xariel.

    Oder wie es im Psalm heißt: „Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament.“ (Ps 19,2).

    Vielleicht hätte man damals ergänzt: „Und auch ein Alien mit großen Augen und feinem Sinn für Humor.“


    2. Braucht ein Alien Erlösung?

    Eine theologische Frage mit Augenzwinkern: Musste Christus auch für Xariel Mensch werden?
    Ich glaube: Nein. Vielleicht war Xariel eines jener Geschöpfe, die nie die Nähe zu ihrem Schöpfer verloren haben. Während wir Menschen uns oft verlaufen – zwischen Ego, Krieg und Stau auf der Tangente – blieb er vielleicht immer in Freundschaft mit Gott.

    Und vielleicht war es genau sein Auftrag, uns daran zu erinnern, dass wir Kinder Gottes sind.


    3. Die Liebe hört niemals auf

    Der Apostel Paulus schreibt: „Die Liebe hört niemals auf“ (1 Kor 13,8).
    Das gilt über Planeten, über Galaxien, über die Grenzen unserer Fantasie hinaus.

    Wenn Gott uns liebt – mit all unseren Macken –, dann liebt er auch ein Alien. Und wenn wir uns vorstellen, dass Xariel jetzt mit den Engeln Sternenkarten spielt, dürfen wir ruhig schmunzeln. Gott hat Humor, da bin ich sicher.

    So dürfen wir vertrauen: Xariel ist heimgekehrt – nicht nur zu den Sternen, sondern in die Arme des Schöpfers, der uns alle verbindet.


    Liebe Trauergemeinde, wenn wir heute Abend in den Himmel schauen und einen Stern heller funkeln sehen als die anderen – vielleicht ist es Xariel, der uns zulächelt.
    Und vielleicht summt er uns noch immer sein Lied der Sterne.


    Über den Autor

    Was wäre, wenn ein Alien stirbt? Harald Preyer – Trauerredner in Wien – zeigt in einer ungewöhnlichen Trauerrede, dass Gottes Liebe das ganze Universum umfasst. Eine berührende, humorvolle und theologische Annäherung.

  • Tara – die Befreierin

    Essenz allen Mitgefühls

    Im Buddhismus wird erzählt, dass die Bodhisattva Tara aus einer Träne geboren wurde. Ihr „Vater“ sozusagen, der große Bodhisattva des Mitgefühls Avalokiteshvara, blickte auf das Leiden aller Wesen. Überwältigt von der Not und dem Schmerz der Welt vergoss er eine Träne – und aus dieser Träne entstand Tara, die Befreierin, die Trösterin, die Beschützerin.

    Tara erinnert uns daran: Tränen sind nicht Schwäche, sondern Quelle von Heilung. Wer weint, der lässt das Leid nicht nur zu – Tränen waschen auch die Seele rein. Sie schenken inneren Frieden und öffnen den Raum, in dem Mitgefühl wachsen kann.

    In Tibet wird Tara verehrt als weibliche Verkörperung des Mitgefühls. Ihre Gestalt erscheint in vielen Farben, jede für eine besondere Kraft der Liebe: Schutz vor Stolz, Neid, Habgier, Zweifel, Unwissenheit, falschen Meinungen, Hass und Anhaftung. Tara befreit von den Gefahren des Alltags, die uns innerlich und äußerlich bedrängen.

    Gerade in der Trauer kann ihr Bild Kraft schenken:
    Wenn wir Tränen vergießen, öffnen wir uns für die Liebe. Wir erkennen, dass wir mit unserem Schmerz nicht allein sind. Und wir spüren, dass Mitgefühl – für uns selbst und füreinander – die größte Befreiung ist.

    So wie Tara aus einer Träne geboren wurde, so kann auch aus unseren Tränen Neues entstehen: Hoffnung, Zuwendung, ein zarter Stern am Himmel der Liebe.

  • Aus Liebe nass geworden?

    Heute um 07:30 Uhr war die Sonne noch nicht so stark wie an den Tagen vorher. Ich saß in Yuliyas weißem Cabrio, das sie mir für diesen Tag geliehen hatte. Das Stoffdach war geöffnet, die Luft frisch, mein Herz voller Erwartung und auch ein wenig voller Sorge: Werde ich rechtzeitig ankommen? Habe ich alles mit, um die Trauerfeier für Andreas pünktlich um 09:00 Uhr am Friedhof Aspern zu halten?

    Auf der Bundesstraße, kurz vor der Autobahn, kam mir ein großes, orangenes Reinigungsfahrzeug der MA48 entgegen. Es spritzte mit viel Kraft Wasser über die gesamte Fahrbahn. Keine Chance zum Entkommen. Direkt vor mir stand die Wand aus Wasser. Ich dachte: Jetzt ist es soweit. Gleich bin ich waschelnass. War keine gute Idee, offen zu fahren. Im schwarzen Anzug. Und bald soll ich vor den Trauergästen stehen.

    Das Herz schlug schneller. Ich dachte mir in dem Moment nur: „Dein Wille  geschehe“.

    Diese Geschichte habe ich dann den Trauergästen bei der Einsegnungsfeier am Friedhof Aspern erzählt. Sie waren berührt – auch, weil Andreas selbst einige Jahre bei der MA48 als Straßenkehrer gearbeitet hatte. Das Bild passte so gut: Manchmal wäscht das Leben den Schmutz einfach weg. Und im rechten Moment trifft man dann die große Liebe. Die beiden waren 30 Jahre ein glückliches Paar. 

    Ich begrüßte die kleine Trauergemeinschaft – mit einem bewussten Händedruck, einem liebevollen Blick in die Augen und einem herzlichen „Grüß Gott!“ – besonders die Witwe, die Tochter und die Enkelin, deren Namen ich ja schon vom Vorgespräch kannte. Viele der Anwesenden wirkten nicht wie regelmäßige Kirchgänger. Umso schöner war es, dass die Enkelin sich die christliche Einsegnung gewünscht hatte. Ich hatte noch nasse Hände.

    Ich erzählte von Andreas’ Liebe zu den Tieren – und wie sehr auch die Tiere ihn geliebt hatten. Die Geschichte von dem Tascherl für den Urenkel, für das er quer durch die ganze Stadt gefahren ist. Ich berichtete von seiner Arbeit im Schottenstift als Reinigungskraft. Der Wirtschaftsdirektor hatte mir in einem Mail liebevoll von Andreas erzählt. Besonders rührend war die Anekdote, dass Andreas am liebsten mit der großen Reinigungsmaschine durch die Gänge gefahren sei – und dabei lachend sagte: „Heute führe ich den Porsche wieder aus.“ Solche Bilder öffneten die Herzen. Ich spürte: Ich war einer von ihnen. Meine Hände waren inzwischen trocken. Ich hatte sie mir gewaschen, weil ich vom Einlegen der Kohle in den Weihrauchkessel schwarz geworden war.

    Dann deutete ich die Namen der engsten Familien-Mitglieder:

    • Andreas – der erste Jünger, den Jesus gefunden hat. Andreas ist dann zu Petrus gegangen und hat ihm berichtet: „Ich habe den Herrn gesehen!“
    • Christl – erinnert uns an Christus, der die Liebe ist.
    • Daniela – Dan = Richter, Dani = Mein Richter, Daniel = Gott ist mein Richter
    • Michelle – kommt von Michael, dem Engel, der uns beschützt.

    Ich las die bekannte Stelle aus dem Johannesevangelium vor: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen … ich gehe, euch eine Wohnung zu bereiten.“ Genau das tun wir heute: Wir segnen ein neues Grab für Andreas. Und wir freuen uns, irgendwann und irgendwo Andreas in seiner neuen Wohnung wiederzusehen. Ob wir ihn gleich erkennen werden? Ob er uns alle gleich mit unseren Namen ansprechen wird, wenn wir einander in verklärten Körpern gegenüberstehen werden?

    Dann war der von mir sehr geschätzte Organist und Kollege als Trauerredner Tobias Cambensy so lieb und hat spontan gemeinsam mit mir „Ubi caritas“ (Wo Liebe ist und Güte,
    da wohnt Gott) angestimmt – nach der einfachen und bekannten Melodie aus Taizé. Wir haben über Liebe gesprochen: über die Liebe zwischen Menschen, zur Gemeinschaft und über Gottes Liebe zu uns, auf die wir uns immer verlassen können.

    Sehr bewegend waren die Fürbitten, die die Enkel- und Urenkel geschrieben hatten. Ich habe kurz erklärt, dass wir in Fürbitten Gott für jemanden um etwas bitten und wo zwei oder mehr in seinem Namen versammelt sind, da ist er mitten unter uns und erhört unsere Bitten. Er weiß zwar eh ganz genau, was wir brauchen. Aber er will es von uns hören. Er will, dass wir uns zu ihm und zu einander in Liebe bekennen. Deshalb sagen wir von ganzem Herzen zu Gott: „Vater, wir bitten dich, erhöre uns.“ Wir haben das einmal gemeinsam geübt. Alle haben zuerst zögerlich, dann voller Freude mitgemacht. 

    Am offenen Grab beteten wir gemeinsam das Vaterunser – das Gebet, das uns Jesus selbst geschenkt hat, und in dem wir Gott „Vater“ nennen dürfen. Zum Abschluss gaben wir uns alle den Friedensgruß: „Der Friede sei mit dir.“  Ich habe den Sarg und die Trauernden mit Weihwasser besprengt und gesegnet – nur in meiner weißen Albe – dem Kleid des getauften Christen. Die Menschen umarmten einander, Tränen und Lächeln mischten sich. 

    Nach der Einsegnung, zurück am Parkplatz, begegnete ich der Familie noch einmal. Sie waren gelöst, dankbar, voller Herzlichkeit und Wärme. Sie bedankten sich von Herzen und sagten: „Wir freuen uns schon auf Deine besondere Liebes-Führung durch den Stephansdom.“

    Ich verabschiedete mich noch herzlich von Michael, dem weisen Arrangeur, der mir schon im Frühjahr erlaubt hat, sein Bild auf meiner Homepage zu posten und ihn zu zitieren:
    „Schön, wenn Du zu uns kommst, Harald. Bei Dir ist es ganz anders. In den 40 Jahren, die ich da bin, habe ich selten so persönliche herzliche Feiern erlebt wie mit Dir.“

    Im Stephansdom, diesem wunderbaren Bauwerk, in das so viele Generationen ihre ganze Liebe zur Verherrlichung Gottes gelegt haben, werden wir uns wiedersehen. Wir werden hinauf gehen zur Orgelempore und Gott bitten, dass er uns hilft, einander noch aufmerksamer und liebevoller zu begegnen. Und vielleicht wird uns im Gebet Andreas begegnen – im Blick auf den Hochaltar oder in einem der vielen Säulenheiligen oder einfach in der Tiefe unserer Herzen.

    Es war vielleicht die Seele von Andreas oder ein guter Engel – vielleicht einer den die Enkelin Michelle geschickt hat: jedenfalls hat der aufmerksame Fahrer der MA48 unmittelbar, bevor ich nass geworden wäre, das Wasser seiner Reinigungsmaschine auf meiner Straßen-Seite abgeschaltet und mir lachend zugewinkt.

    Danke, lieber MA48-Mitmensch für Deine Achtsamkeit!


    Einige Tage nach dieser Trauerrede habe ich von der Enkelin von Andreas folgende WhatsApp Nachricht bekommen:

    Die Trauer rede war wirklich toll. Die Familie hat sie als sehr aufbauen empfunden und als anders als bei den anderen Beerdigungen. Im positiven Sinne. Danke dafür 🤗

    Lg
    Michelle

  • Hoffnung bleibt

    „Hoffentlich“ – ein Wort, das wir oft sagen. Vor einer Operation, vor einem Gespräch, in Zeiten der Unsicherheit.
    Manchmal mischt sich Angst hinein, manchmal die Erinnerung an Enttäuschungen.

    Und doch gibt es eine Hoffnung, die weiter trägt.
    Eine Hoffnung, die größer ist als Sorgen und stärker als der Tod.
    Sie sagt: Alles, was an Liebe, Güte und Menschlichkeit gelebt wurde, bleibt.
    Es geht nicht verloren.

    „Auferstehung“ bedeutet: Der letzte Satz unserer Geschichte heißt nicht „Ende“, sondern „Weiter“.
    Diese Hoffnung ist ein Geschenk. Sie schenkt Geborgenheit, Sinn und Perspektive – schon heute.

    Darum dürfen wir sagen:
    Unsere Verbindung bleibt.
    Die Liebe bleibt.
    Und das Wiedersehen kommt – in einer Wirklichkeit, in der wir einander wieder in die Arme schließen.


    2. Lesung am Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel

    Schwestern und Brüder! Christus ist von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen.

    Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.

    Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge: Erster ist Christus; dann folgen, wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören. Danach kommt das Ende, wenn er jede Macht, Gewalt und Kraft entmachtet hat und seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt.

    Denn er muss herrschen, bis Gott ihm alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod. Denn: Alles hat er seinen Füßen unterworfen.

    1 Kor 15, 20–27a

  • Die Liebe trägt

    Die Liebe trägt – auch im Sturm

    Das Wasser steht oft für das Ungewisse. Für Tod und Neubeginn. Für Zeiten, in denen uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird – und wir nicht wissen, ob wir noch schwimmen oder schon untergehen.

    Eine alte Geschichte erzählt von einem Mann, der mitten im Sturm fast versinkt. Erst als er den Blick hebt – und der Liebe vertraut – wird er gehalten.

    Vielleicht ist das auch unsere Erfahrung:
    Nicht auf die Angst starren. Nicht auf das, was uns überrollt.
    Sondern auf das, was uns trägt.
    Auf die Liebe, die bleibt.

    Solange wir auf die Liebe schauen, gehen wir nicht unter.

    Und dann – mitten im Gegenwind – der leise Trost:
    Du bist nicht allein.