Kategorie: Gedanken

  • Gott wohnt in uns

    Glauben heißt, sich erinnern.

    Man weiß – und doch glaubt man.
    Der Gott, den du über dir wähnst, ist in dir.

    Gerade im Abschied spüren wir:
    Glaube ist kein äußeres Konstrukt. Kein ferner Vater im Himmel, keine Bürokratie der Engel.
    Sondern ein innerer Weg – ein stilles Wissen, ein lebendiges Vertrauen.

    Glaube braucht keine sichtbaren Wunder, keine Beweise.
    Er bestätigt sich selbst, indem er unser Herz verwandelt.
    Wenn wir lieben, hoffen, vergeben, leben wir den Glauben.

    Gott wohnt in uns.
    Nicht außerhalb.
    Nicht weit weg.
    Jetzt.
    Hier.
    In dir.

    (Inspiriert von „365 Tao: Meditationen für jeden Tag des Jahres“)

  • Peters Botschaft aus dem Jenseits

    Stellen Sie sich vor, dass Sie zur Bestattung eines langjährigen Freundes eingeladen sind. Er starb viel zu früh – wie geliebte Menschen immer zu früh sterben.

    Sie wissen nicht, was sie erwartet. Einige andere Freunde sind schon da.

    Man begrüßt sich leise, pietätvoll, mit diesem traurigen Blick, der eine Mischung aus „Es tut mir leid. Ich fühle mit. Ich bin da. Ich vermisse Peter auch sehr.“ signalisiert.

    Der Trauerredner begrüßt die Gäste angemessen, unaufdringlich, warmherzig.

    Dann sprichst Peter selbst.

    Sie hören ihn glasklar. Ganz so als würde er neben Ihnen sitzen. Seine Stimme klingt warm, liebevoll – sein gewohnter Erzählton unter Freunden. Es ist alles wie es immer war, wenn sie Peter getroffen haben. Es sind nur mehr Menschen da als sonst im Freundeskreis. Und es ist alles irgendwie feierlicher. Aber es ist kein Zweifel: Das ist Peter’s Stimme. Das ist keine KI, keine Computerstimme.

    Peter erzählt Episoden aus seinem Leben und es sind gute Geschichten. Auch Sie selbst kommen einmal kurz vor. Das berührt Sie – die Geschichte damals am Gardasee bei ihrer Wanderung auf den Monte Baldo als sie einander gegenseitig fotografiert haben – weit im Hintergrund das tiefe Blau des Sees.

    Und Peter sagt auch Botschaften, die nachdenklich machen. Vom Leben im Jetzt, von der Dankbarkeit, die zum Glück führt, von der Verantwortung, von einer guten Welt, von der Liebe und von seiner Hoffnung.

    Die Stimmung ist gelöst. Dankbarkeit und Hoffnung erfüllen den Raum und nehmen die Trauer an der Hand.


    Making of

    Möglich wurde diese neue Form des eigenen Nachrufs durch eine besondere Vorbereitung. Peter hat mich drei Monate vor seinem Tod angerufen und gefragt, ob wir seine Trauerrede gemeinsam vorbereiten können.

    Wir haben geplant, uns dreimal zu treffen. Beim ersten Treffen hat er mir in zwei Stunden sein Leben erzählt. Ich habe nur gut zugehört, manchmal nachgefragt, in meinen Worten gespiegelt, was er mir erzählt hat. Es waren zwei schöne Stunden auf seiner Terrasse. Nur er und ich, mein Notizblock und später auch mein Handy zum Aufnehmen seiner Erzählungen.

    Dann habe ich Peter einige Gedanken geschickt. Fragen, Bilder und Ideen, die ihn inspiriert haben, seine Erzählung weiter auszuschmücken, zu fokussieren, Schwerpunkte zu setzen, einen roten Faden zu finden, mit allen Sinnen spürbar zu machen.

    Ich habe Peter dann ein zweites Mal besucht und er hat seine eigene Trauerrede das erste Mal selbst gesprochen. Das habe ich aufgenommen – nicht in Studioqualität, sondern so wie es war. Knappe zehn Minuten – so wie meine eigenen Trauerreden. Allerdings mit leisen Hintergrundgeräuschen auf der Terrasse. Einmal hat Senta gebellt. Sogar in der Aufnahme hört man, wie sie voller Freude das Kommen der Enkel kurz gemeldet hat.

    Wir haben dann noch länger darüber gesprochen, wie es ihm jetzt geht. Die Ärzte meinen, mit viel Glück wird er den Ferienbeginn von Klara und Franz noch erleben. Die Schmerzen sind erträglich. Ich erlebe Peter reflektiert, ruhiger als bei unserem ersten Gespräch, gefasster, manchmal tief berührt und dann auch zeitweise wie bereits in einer anderen schönen Welt, träumend, sinnierend, glücklich, erlöst. Ich habe ihn noch gebeten, mir ein Bild – ein gutes Foto – von ihm zu schicken. Damit er uns von der Staffelei in der Aufbahrungshalle auch ansieht, wenn wir seine letzten Wort hören.

    Wir haben geplant, wann wir uns zum dritten Mal sehen, um die finale Version seiner eigenen Trauerrede professionell aufzunehmen… Vielleicht mit Video.

    Dazu kam es nicht mehr. Eine Woche später hat mich Barbara angerufen und schlicht gesagt: „Peter ist tot. Er ist heute Nacht einfach eingeschlafen. Wir haben noch miteinander gekuschelt wie jeden Tag und er ist nicht mehr aufgewacht.“

    Die erste Version von Peter’s selbstgesprochener Trauerrede und sein Bild auf der Staffelei haben Bekannte, Freunde und sogar Barbara vermutlich mehr berührt als es jede Erinnerung vermocht hätte.

    Was bleibt? Erinnerungen, Bilder im Kopf, viel Liebe, Freude über das Erlebte, Erzählte und die warme Vorfreude auf das Wiedersehen. Irgendwann, irgendwie und sicher anders als hier. Und Senta’s leises Bellen.


    Ein Artikel aus der ZEIT vom 23.4.2025 beschreibt authentisch und ehrlich Erfahrungen mit anderen modernen Methoden der Speicherung von Erinnerungen an Verstorbene.

  • Auferstehung bei -40°

    Friedhofsspaziergänge haben auch etwas Philosophisches

    Tatjana Kuschtewskaja ist eine russische Schriftstellerin, die in Deutschland lebt.
    Sie wurde international bekannt durch ihr Buch „Hier liegt Freund Puschkin. Spaziergänge auf russischen Friedhöfen“.

    Darin beschreibt sie unter anderem die russische Trauer- und Friedhofskultur – auch aus philosophischer Perspektive.

    „Jetzt kann er ganz gewiss auferstehen“

    Die russisch-religiöse Philosophie des 19. Jahrhunderts um Vladimir Solovjov (1853–1900) formulierte den Anspruch, dass Tote überall so begraben werden sollten, dass sie jederzeit – in Analogie zu Jesus – wiederauferstehen können.

    Ein Mann konnte im hohen Norden bei minus 40 Grad lediglich eine Grabstelle von einem Meter Tiefe ausheben. Deshalb schlug ein Freund des Verstorbenen vor, Sprengstoff zu Hilfe zu nehmen, und so wurde Dynamit zur Explosion gebracht. Dann glättete man den Boden im Grab und bestattete den Leichnam.

    Als die Grube bereits zugeschüttet war, fiel einem Anwesenden ein, dass sie vergessen hatten, die Füße des Verstorbenen loszubinden. „Wie soll er da auferstehen?“, beklagten sich einige Trauergäste. „Die Bänder werden ihn im ewigen Eis festhalten.“

    Auf dem Friedhof war es so bitterkalt, dass selbst das Atmen schmerzte. Trotzdem wurde das Grab wieder geöffnet. Man löste die Bänder des Verstorbenen – und schloss das Grab erneut.

    Trotz der Kälte bekreuzigten sich alle Anwesenden erleichtert und murmelten:
    „Jetzt kann er ganz gewiss auferstehen.“


  • Kurz vor Oste(r)n

    Ein Versuch, der Liebe zu vertrauen

    Es gibt Momente, in denen ich innehalte. Ein Bild, das ich selbst gestaltet habe, begleitet mich dabei: Ein schlichter Kompass. Norden oben, Westen links, Süden unten – und wo eigentlich der Osten wäre, dort schlägt ein Herz. In der Mitte steht: „kurz vor OSTE®N“.

    Ein Wortspiel, ja – aber nicht nur ein Spiel. Für mich ist es ein stilles Zeichen: eine Erinnerung daran, woher das Licht kommt. Und worauf ich hoffe.

    Denn ich bin frei. Frei, zu glauben. Frei, zu zweifeln. Frei, der Liebe Gottes zu trauen – oder sie zu vergessen. Diese Freiheit ist nicht immer leicht. Manchmal fühlt sie sich an wie ein Weg ohne Ziel.

    Gerade hier in Wien, in dieser Stadt voller Geschichte, voller Melancholie, scheint mir Kirche manchmal leise zu werden. Unbemerkt. Man könnte sagen: unwichtig. Die Menschen gehen. Die Räume werden größer. Die Stimmen kleiner.

    Aber die Welt ist größer als mein Blickfeld. Und so sehe ich auch: Weltweit wächst die Kirche. Menschen finden Trost, Sinn, Gemeinschaft. Und nicht nur irgendwo – sondern in großer Zahl. Es berührt mich, das zu wissen. Es weitet mein Herz.

    Und doch: Glaube beginnt für mich nicht im Großen. Er beginnt dort, wo ein trauriger Mensch ein wenig Freude spürt – vielleicht, weil ich ihn wahrgenommen habe. Vielleicht, weil ich in diesem Moment etwas von der Liebe weitergeben konnte, die ich selbst erfahren habe.

    Ich habe viel gelernt in „meiner“ Kirche. Nicht aus Büchern, nicht aus Argumenten – sondern durch Begegnung. Durch Menschen. Durch das stille Mittragen in Momenten der Dunkelheit.

    Ostern ist nahe. Für mich ist das nicht nur ein Datum. Es ist ein Bild für Aufbruch, für Verwandlung. Nicht laut. Nicht spektakulär. Sondern in der Tiefe.

    „Kurz vor Oste(r)n“ – das heißt für mich: Ich darf mich erinnern. An das Licht, das kommt. An das Herz, das dort schlägt, wo der Morgen beginnt.

    Und an den leisen Ruf, der nicht befiehlt, sondern einlädt: Vertrau der Liebe.

  • Lebewohl

    Gedanken aus dem Taoismus lösen bei mir manchmal kühle Distanz aus. Manchmal öffnen sie auch einen anderen Blickwinkel.

    Die Wege mancher Menschen kreuzen sich manchmal nur kurz, wenn sie Freundschaft schließen, aber das macht diese Zeit nicht weniger wertvoll. Wir müssen die Unterstützung nutzen und auf eine Weise teilen, von der alle Beteiligten profitieren. Immer wenn wir dem anderen etwas wegnehmen, sollten wir versuchen, ihm etwas zurückzugeben. Das ist wichtig. Niemand sollte sich auf eine andere Person verlassen oder erwarten, über eine lange Strecke hinweg getragen zu werden. Freunde sollten so lange nebeneinanderher gehen, wie ihre gemeinsame Reise dauert, ohne sich voneinander abhängig zu machen.

    Es sollte keine Verpflichtungen geben. Wenn ich jemandem helfen kann, sollte ich es ohne zu zögern oder ohne die Erwartung einer Belohnung oder späteren Schuldbegleichung tun. Wenn es etwas gibt, das ich lernen muss und das mir mein Gefährte zeigen kann, sollte ich diese Lektion bescheiden annehmen. Niemand »besitzt« Wissen. Es sollte frei geteilt werden.

    In jeder Begegnung steckt der Keim des Abschieds. Nichts währt ewig. Die Flüchtigkeit verleiht dem Leben seine Prägnanz. Jeder Mensch ist für sich selbst verantwortlich. Man kann keinen anderen Weg gehen als seinen eigenen.

    Quelle
    Deng Ming-Dao: 365 Tao – Meditationen für jeden Tag des Jahres.
    Tag 98, 8.4.2025
    Übersetzung: Dr. Kimiko Leibnitz.
    München: FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH, 2023.
    ISBN Print: 978-3-95972-658-0.

  • Trotzdem

    Darf ich fröhlich blicken, obwohl ich trauere?

    Ja. Dein Lächeln im Herzen ist der Applaus der Seele, wenn sie sieht, dass das Leben siegt. 

    Auch der geliebte verstorbene Mensch freut sich bestimmt über Dein Herzens-Lachen.