Schlagwort: Sinn des Lebens

  • Gesundheit und Tod – neu gedacht

    »Der besondere Wert von Gesundheit wird uns meist erst dann schmerzlich bewusst, wenn sie fehlt.«

    — Barbara Schmitz

    Impuls
    Gesundheit ist nicht einfach das Fehlen von Krankheit, sondern ein empfindliches Gleichgewicht, das erst im Bruch seine Tiefe offenbart. Barbara Schmitz erinnert uns daran, dass Krankheit nicht nur Verlust, sondern auch Erkenntnisquelle sein kann – ein Riss, durch den neues Licht ins Leben fällt.

    Vielleicht gilt das Gleiche auch für den Tod: Er zwingt die Lebenden, neu zu beginnen, die Grenzen des Selbst zu überschreiten und Freiheit zu finden inmitten des Endlichen. So wird aus der Verwundung ein Zugang zur Wahrheit des Menschseins – verletzlich, aber wach.


    Barbara Schmitz (*1968) ist eine deutsche Philosophin. Sie lehrt und forscht an der Universität Basel, wo sie sich mit Fragen des guten und lebenswerten Lebens, mit Gerechtigkeit, Behinderung und den ethischen Dimensionen menschlicher Existenz auseinandersetzt. In ihrer Arbeit verbindet sie theoretische Schärfe mit einer lebensnahen Perspektive, die Philosophie als praktische Orientierung im Alltag begreift.

  • Das Dilemma des Heinz – und die Frage nach dem Leben

    Von Harald R. Preyer

    Eine Frau liegt im Sterben. Ein Mann will sie retten. Ein Apotheker verlangt den Preis des Lebens. Und die Moral? Sie steht ratlos daneben. Und wenn es im Heinz-Dilemma gar nicht um Ethik ginge?


    Der Psychologe Lawrence Kohlberg entwarf in den fünfziger Jahren eine Versuchsanordnung, die bis heute in Ethikseminaren zitiert wird: das Heinz-Dilemma.
    Eine Frau leidet an einer tödlichen Krankheit. Es gibt ein Medikament, das helfen könnte, doch der Apotheker verlangt das Zehnfache seiner Kosten. Der Ehemann Heinz bittet, verhandelt, fleht – vergeblich. Schließlich überlegt er, ob er einbrechen und das Mittel stehlen soll.

    Soll er?

    Kohlberg wollte mit dieser Frage nicht Moral lehren, sondern Moral messen. Entscheidend war nicht, was jemand antwortet, sondern warum.
    Wer sagt: „Er darf nicht stehlen, sonst kommt er ins Gefängnis“, denkt anders als jemand, der meint: „Ein Menschenleben zählt mehr als Eigentum.“ Moral, so Kohlberg, entwickelt sich in Stufen – von der Furcht vor Strafe bis zur Einsicht in universelle Werte.


    Wenn das Medikament nicht heilt

    Doch in dieser berühmten Versuchsanordnung fehlt eine entscheidende Unbekannte:
    Was, wenn das Medikament gar nicht hilft?
    Wenn es nur das Leiden verlängert – oder das Sterben?

    Dann verschiebt sich der moralische Brennpunkt.
    Dann geht es nicht mehr darum, ob Heinz das Richtige tut, sondern was „richtig“ überhaupt heißt.

    Ist Leben immer der höchste Wert? Oder wird es erst durch Sinn und Liebe heilig?

    In solchen Momenten reicht die Vernunft nicht mehr.
    Sie macht Platz für das Ringen des Herzens, das nicht loslassen kann – selbst wenn Loslassen der letzte Liebesdienst wäre.


    Zwischen Gesetz und Gnade

    Vielleicht liegt Heinz’ wahres Dilemma gar nicht im Gesetz, sondern im Glauben.
    Nicht, ob er einbrechen darf, sondern ob er glaubt, das Leben seiner Frau liege in seinen Händen.
    Und vielleicht liegt das Unrecht nicht beim Apotheker, sondern in der Logik, mit der wir Leben bemessen – als wäre es handelbar, verlängerbar, verfügbar.

    Was ist der Wert eines Menschenlebens, wenn es zugleich unbezahlbar und unhaltbar ist?


    In Gottes Zeit

    Am Ende werden wir alle vorausgehen.
    Für manche von uns leben unsere Seelen weiter.
    Und wir werden uns wieder umarmen – in Gottes Zeit.

    Dieses Vertrauen ist Gnade und verwandelt das Dilemma.
    Nicht zu einer Lösung, sondern zu einem Trost.
    Denn wenn Heilung nicht mehr im Diesseits liegt, wird das Stehlen sinnlos – und die Liebe heilig.

    Heinz bleibt Mensch – zwischen Hoffnung und Hingabe.
    Und Gott bleibt Gott – jenseits aller Rechnungen.


    Über den Autor:
    Harald R. Preyer ist Coach, geistlicher Begleiter und Trauerredner in Wien. Er begleitet Menschen an Lebenswenden .

  • Tod – Motor des Lebens, Trauer – Tochter der Liebe

    Wenn wir vom Tod sprechen, sprechen wir immer auch vom Leben. Diese Einsicht zieht sich wie ein stiller Faden durch das Denken Viktor E. Frankls – und durch den Vortrag des Biochemikers und Logotherapeuten Edgar Falkner-Groier, den er unter dem Titel „Tod: Motor des Lebens – Trauer: Tochter der Liebe“  beim Viktor Frankl Zentrum Wien regelmäßig hält.

    Der Mensch, so Falkner-Groier, ist sich seiner eigenen Endlichkeit bewusst – und genau darin liegt seine Würde. Seit der „Vertreibung aus dem Paradies“, diesem großen biblischen Bild für die Erkenntnis von Gut und Böse, weiß der Mensch, dass sein Leben endlich ist. Doch gerade diese Erkenntnis treibt ihn dazu an, Sinn zu verwirklichen. Der Tod wird damit – paradoxerweise – zum Motor des Lebens.

    Frankl nannte die Vergangenheit den „Raum des Unvergänglichen“. Denn alles, was wir getan, geliebt, erlitten oder geschenkt haben, bleibt dort aufgehoben – „unverlierbar“, wie er sagte. Unsere Lebensgeschichte ist keine Linie, die in den Tod läuft, sondern eine Scheune voller gelebter Bedeutung. In dieser Sichtweise verliert der Tod seinen Stachel. Er zwingt uns, verantwortlich zu leben – und das Leben zu lieben, gerade weil es vergeht.

    Trauer als verwandte Form der Liebe

    Im zweiten Teil seines Vortrags spricht Falkner-Groier von der Trauer – und nennt sie „Tochter der Liebe“. Denn nur wer liebt, kann trauern. Und jede echte Trauer enthält die Möglichkeit, zur Liebe zurückzufinden.

    Frühere psychologische Ansätze verstanden Trauerarbeit als ein „Loslassen“ – als Abschluss, nach dem das „normale Leben“ weitergehen sollte. Heute wissen wir: Wer loslässt, darf zugleich halten. Der geliebte Mensch verschwindet nicht aus der Beziehung, er verändert nur die Art, in der er da ist. Frankl formulierte es so: „Bei-Sein ist nicht auf Da-Sein angewiesen.“

    Trauer wird so zur Bewegung zwischen Loslassen und Halten, zwischen Schmerz und Liebe. Mit der Zeit wandelt sich die verzweifelte Trauer zur „liebenden Trauer“ – einer neuen Form der Beziehung, die den Verstorbenen ehrt und im Herzen bewahrt.

    Und wer glaubt, darf diesen Wandel noch weiter deuten: In einem „Akt des gläubigen Urvertrauens“, sagt Falkner-Groier, können wir auch das Unbegreifliche einem größeren Sinn übergeben – einem „Über-Sinn“, wie Viktor Frankl ihn nannte. Die Liebe, die bleibt, überwindet den Tod.

    Der Liedermacher Hubert von Goisern fasst es schlicht: „Liebe kennt nicht den Tod.“

    Ein persönlicher Nachklang

    In vielen Begegnungen mit Trauernden erlebe ich genau das: Wie Liebe und Verlust keine Gegensätze sind, sondern zwei Seiten derselben Erfahrung. Wenn ein Vater seiner verstorbenen Tochter schreibt, er werde sie im Himmel wiedersehen; wenn eine Witwe beim Kerzenlicht sagt, sie spüre ihren Mann noch immer an ihrer Seite – dann geschieht das, was Falkner-Groier beschreibt: Die Trauer verwandelt sich in Liebe.

    Es ist die Liebe, die den Tod überdauert, und der Tod, der uns lehrt, zu lieben.


    Quelle:
    DI Dr. Edgar Falkner-Groier, Tod: Motor des Lebens – Trauer: Tochter der Liebe, Vortrag im Viktor Frankl Zentrum Wien, 2025.
    Verwendete Literatur: Viktor E. Frankl, Logotherapie und Existenzanalyse (Beltz, 2002); R. Kachler, Meine Trauer wird dich finden (Herder, 2017); E. Lukas, In der Trauer lebt die Liebe weiter (Butzon & Bercker, 2019).

    Autor
    Harald R. Preyer ist ehrenamtlich Lektor im Wiener Stephansdom, christlicher Begräbnisleiter und Trauerredner. Auf Basis seiner Erfahrung als systemischer Coach und geistlicher Begleiter gestaltet er Begräbnisse und Urnenfeiern als Perlen von Glaube, Hoffnung und Liebe. Seine Auftraggeber sind oft der Kirche fernstehende und ausgetretene Personen, die dennoch Gläubige sind. Persönliche Begegnungen mit Viktor Frankl ab 1983 haben sein Leben mit geprägt.