Schlagwort: Sinn des Lebens

  • Tod – Motor des Lebens, Trauer – Tochter der Liebe

    Wenn wir vom Tod sprechen, sprechen wir immer auch vom Leben. Diese Einsicht zieht sich wie ein stiller Faden durch das Denken Viktor E. Frankls – und durch den Vortrag des Biochemikers und Logotherapeuten Edgar Falkner-Groier, den er unter dem Titel „Tod: Motor des Lebens – Trauer: Tochter der Liebe“  beim Viktor Frankl Zentrum Wien regelmäßig hält.

    Der Mensch, so Falkner-Groier, ist sich seiner eigenen Endlichkeit bewusst – und genau darin liegt seine Würde. Seit der „Vertreibung aus dem Paradies“, diesem großen biblischen Bild für die Erkenntnis von Gut und Böse, weiß der Mensch, dass sein Leben endlich ist. Doch gerade diese Erkenntnis treibt ihn dazu an, Sinn zu verwirklichen. Der Tod wird damit – paradoxerweise – zum Motor des Lebens.

    Frankl nannte die Vergangenheit den „Raum des Unvergänglichen“. Denn alles, was wir getan, geliebt, erlitten oder geschenkt haben, bleibt dort aufgehoben – „unverlierbar“, wie er sagte. Unsere Lebensgeschichte ist keine Linie, die in den Tod läuft, sondern eine Scheune voller gelebter Bedeutung. In dieser Sichtweise verliert der Tod seinen Stachel. Er zwingt uns, verantwortlich zu leben – und das Leben zu lieben, gerade weil es vergeht.

    Trauer als verwandte Form der Liebe

    Im zweiten Teil seines Vortrags spricht Falkner-Groier von der Trauer – und nennt sie „Tochter der Liebe“. Denn nur wer liebt, kann trauern. Und jede echte Trauer enthält die Möglichkeit, zur Liebe zurückzufinden.

    Frühere psychologische Ansätze verstanden Trauerarbeit als ein „Loslassen“ – als Abschluss, nach dem das „normale Leben“ weitergehen sollte. Heute wissen wir: Wer loslässt, darf zugleich halten. Der geliebte Mensch verschwindet nicht aus der Beziehung, er verändert nur die Art, in der er da ist. Frankl formulierte es so: „Bei-Sein ist nicht auf Da-Sein angewiesen.“

    Trauer wird so zur Bewegung zwischen Loslassen und Halten, zwischen Schmerz und Liebe. Mit der Zeit wandelt sich die verzweifelte Trauer zur „liebenden Trauer“ – einer neuen Form der Beziehung, die den Verstorbenen ehrt und im Herzen bewahrt.

    Und wer glaubt, darf diesen Wandel noch weiter deuten: In einem „Akt des gläubigen Urvertrauens“, sagt Falkner-Groier, können wir auch das Unbegreifliche einem größeren Sinn übergeben – einem „Über-Sinn“, wie Viktor Frankl ihn nannte. Die Liebe, die bleibt, überwindet den Tod.

    Der Liedermacher Hubert von Goisern fasst es schlicht: „Liebe kennt nicht den Tod.“

    Ein persönlicher Nachklang

    In vielen Begegnungen mit Trauernden erlebe ich genau das: Wie Liebe und Verlust keine Gegensätze sind, sondern zwei Seiten derselben Erfahrung. Wenn ein Vater seiner verstorbenen Tochter schreibt, er werde sie im Himmel wiedersehen; wenn eine Witwe beim Kerzenlicht sagt, sie spüre ihren Mann noch immer an ihrer Seite – dann geschieht das, was Falkner-Groier beschreibt: Die Trauer verwandelt sich in Liebe.

    Es ist die Liebe, die den Tod überdauert, und der Tod, der uns lehrt, zu lieben.


    Quelle:
    DI Dr. Edgar Falkner-Groier, Tod: Motor des Lebens – Trauer: Tochter der Liebe, Vortrag im Viktor Frankl Zentrum Wien, 2025.
    Verwendete Literatur: Viktor E. Frankl, Logotherapie und Existenzanalyse (Beltz, 2002); R. Kachler, Meine Trauer wird dich finden (Herder, 2017); E. Lukas, In der Trauer lebt die Liebe weiter (Butzon & Bercker, 2019).

    Autor
    Harald R. Preyer ist ehrenamtlich Lektor im Wiener Stephansdom, christlicher Begräbnisleiter und Trauerredner. Auf Basis seiner Erfahrung als systemischer Coach und geistlicher Begleiter gestaltet er Begräbnisse und Urnenfeiern als Perlen von Glaube, Hoffnung und Liebe. Seine Auftraggeber sind oft der Kirche fernstehende und ausgetretene Personen, die dennoch Gläubige sind. Persönliche Begegnungen mit Viktor Frankl ab 1983 haben sein Leben mit geprägt.