Schlagwort: Menschlichkeit

  • Wir gehören einander an

    In einer Zeit, in der sich viele zurückziehen, Mauern bauen und Unterschiede betonen, ist es gut, sich zu erinnern:
    Wir sind miteinander verwoben.
    Was einem geschieht, betrifft uns alle.

    No man is an island,
    Entire of itself.
    Each is a piece of the continent,
    A part of the main.
    If a clod be washed away by the sea,
    Europe is the less,
    As well as if a promontory were,
    As well as if a manor of thine own
    Or of thine friend’s were.
    Each man’s death diminishes me,
    For I am involved in mankind.
    Therefore, send not to know
    For whom the bell tolls,
    It tolls for thee.

    Niemand ist eine Insel,
    ganz für sich allein.
    Jeder ist ein Teil des Kontinents,
    ein Stück des Ganzen.
    Würde das Meer einen Klumpen Erde fortspülen,
    Europa wäre kleiner –
    so wie, wenn ein Kap verschwände,
    oder dein eigener Landsitz,
    oder der eines Freundes.
    Jedes Menschen Tod mindert mich,
    denn ich bin mit der Menschheit verbunden.
    Darum frag nicht,
    wem die Stunde schlägt –
    sie schlägt für dich.

    John Donne (englischer Dichter, 1572–1631)


    John Donne erinnert uns daran, dass Individualität ohne Verbundenheit leer bleibt. Sein Gedicht ist kein moralisches Mahnwort, sondern ein metaphysischer Gedanke: Wir existieren nur im Mitsein. Jeder Verlust – ob fern oder nah – betrifft das Ganze. Diese Einsicht ist älter als Europa und zugleich seine moralische Voraussetzung.

  • Macht Glaube glücklich?

    Zwei Urnenbestattungen im warmen Herbstlicht

    Heute habe ich zwei Urnen-Beisetzungen begleitet.
    Zwei Friedhöfe, zwei sehr verschiedene Familien – und doch hatten sie etwas gemeinsam:
    In beiden Feiern war Gott „verboten“.
    Nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung, aus Schmerz – vielleicht Wut.
    Aus der Frage, die manchmal Menschen quält:
    Wie kann Gott so etwas zulassen?

    Ich habe darauf keine Antwort.
    Aber ich habe gespürt, dass Dankbarkeit hilft.
    Dankbar zu sein für das, was war – für gemeinsame Stunden, für Liebe, für das, was bleibt.

    In einer der Feiern durfte ich den Liebesbrief einer jungen Witwe lesen. So zart, so echt. Im Gesicht der Eltern sah ich für einen Moment wieder ein Leuchten.

    Vielleicht war das der Augenblick, in dem Gott doch da war – ganz leise.

    Manchmal glaube ich, unser Auftrag als Seelsorger, als Redner, als Menschen ist nicht, Antworten zu geben.
    Sondern Herzen zu berühren.
    Menschen daran zu erinnern, dass Liebe stärker ist als Tod.
    Und dass Dankbarkeit die Tür zur Hoffnung öffnet.

    Ob Glaube glücklich macht?
    Vielleicht ja – wenn wir ihn nicht verteidigen,
    sondern leben.
    Still, herzlich, menschlich.