Schlagwort: Einsegner

  • Der rilkeische Einsegner

    Nicht sprechen zuerst.
    Still werden,
    bis die Stimmen sich sammeln
    wie Staub im späten Licht.

    Dann hören:
    was zwischen den Worten atmet,
    was sich nicht sagen ließ
    und dennoch blieb.

    Der Schmerz will nicht fort.
    Er will getragen werden,
    wie man ein Kind trägt,
    das müde ist vom Gehen.

    Man erklärt ihm nichts.
    Man bleibt.

    Und mitten im Schweren
    öffnet sich ein Raum –
    nicht weil alles gut wäre,
    sondern weil etwas hält.

    Segen geschieht leise.
    Nicht von oben.
    Sondern dort,
    wo Nähe standhält.

    Niemand soll
    auf der Schwelle
    ohne Gegenwart bleiben.

    Und Bleibendes
    schafft
    der Dichter.

    Nicht alleine.

    Geliebt.

    Der Einsegner nach Rainer Maria Rilke

  • Der Einsegner

    Am Anfang steht für mich das Zuhören.
    Bevor ich spreche, lasse ich Raum entstehen.
    Raum, in dem Menschen erzählen dürfen, ohne unterbrochen zu werden.
    Raum, in dem alles gesagt werden darf –
    auch das Widersprüchliche, das Unfertige.

    Ich höre nicht nur Worte.
    Ich höre auch das, was zwischen den Sätzen liegt:
    Schuld und Dankbarkeit, Liebe und Zorn, Nähe und Entfernung.
    Dem, was da ist, begegne ich mit Aufmerksamkeit und Respekt.

    Ich stärke, ohne zu beschönigen.
    Den Tod erkläre ich nicht weg.
    Was weh tut, darf bleiben.
    Anerkennung und Würdigung sind meine Antwort auf ein gelebtes Leben.

    Mitgefühl ist für mich kein Mitleid.
    Mitgefühl heißt Mitgehen.
    Den Schmerz nicht zu nehmen, aber ihn tragbar zu machen.
    Niemand soll in dieser Stunde allein bleiben.

    Wo Menschen ehrlich werden dürfen, kann Heilung beginnen.
    Nicht als Technik, nicht als Therapie,
    sondern als leises Aufatmen der Seele.

    Ich schenke Zuversicht.
    Nicht als Versprechen, sondern als Einladung.
    Die Einladung, dass Liebe bleibt.
    Dass Beziehung nicht endet.
    Dass der Abschied nicht das letzte Wort ist.

    Ich lasse die Liebe Gottes spürbar werden.
    Nicht durch Erklärungen, sondern durch Haltung.
    Durch Würde, Wärme und Gegenwart.

    Ich bin ein angenehmer Mensch in einer schweren Stunde.
    Ich heiße willkommen – auch im Schmerz.
    Und ich helfe, aus einem Abschied ein Ankommen zu machen:
    bei sich selbst, bei der eigenen Geschichte, bei dem, was trägt.

    Ich bitte Gottes Hilfe herab.
    Still oder ausgesprochen.
    Ich öffne einen Raum, in dem Versöhnung möglich wird –
    mit dem Leben, mit dem Tod, mit Gott.

    Am Ende segne ich.
    Nicht, weil alles gut ist.
    Sondern weil niemand alleine gehen soll.

    Wien, am 12.12.2025, HRP