Als ich die Matura in der Tasche hatte, sagte mein Vater zu mir: „Du bist jetzt reif. Nun lerne Demut.“
Damals verstand ich ihn nicht. Ich war stolz, das Reifezeugnis zu haben. Was sollte Demut schon heißen? Sich kleinmachen? Sich nicht freuen dürfen? Erst heute beginne ich zu ahnen, was er gemeint hat: Demut ist der Mut zum Dienen.
Dieser Satz ist schlicht, aber er trägt. Grammatikalisch ist er sauber, theologisch ist er fest im Evangelium verankert – und etymologisch geht er bis zum Ursprung zurück. Denn das deutsche Wort Demut stammt aus dem Althochdeutschen diomuoti: die Haltung des Dienens. Demut war ursprünglich nicht Unterwürfigkeit, sondern die Kraft, sich für andere einzusetzen.
Jesus selbst hat das vorgelebt. Im Evangelium dieses Sonntags (Lk 14,1.7–14) beobachtet er, wie sich die Gäste die Ehrenplätze sichern. Er sagt: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt; wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“
Militärerzdekan Dr. Harald Tripp hat dazu das Bild von Leonard Bernstein aufgenommen: „Die besten Orchester der Welt erkennt man daran, dass sie die besten zweiten Geiger haben.“ Nicht die, die glänzen, machen das Ganze stark, sondern jene, die bereit sind, den Dienstplatz einzunehmen.

P. Johannes Paul Abrahamowicz OSB erklärt: In der Bibel meint „Demut“ oft „erniedrigt sein“. Menschen erniedrigen einander – Gott aber erhebt. Demut ist nicht Taktik, sondern Offenheit. Wie eine leere Schale, die fähig ist, Gutes zu empfangen und weiterzugeben.
Kardinal Christoph Schönborn betont: Rangordnungen sind an sich nichts Schlechtes. Doch sobald Eitelkeit regiert, wird es lächerlich. Echte Freundschaft entsteht, wenn wir einander als Menschen begegnen, nicht als Nutznießer.
Und Papst Johannes Paul II. hat es vor fast vierzig Jahren in Anagni gesagt: Wer groß werden will, soll bei den kleinsten Dingen beginnen. Das Fundament unseres Lebensbaus ist die Demut.
So spannt sich ein weiter Bogen:
Mein Vater, der mich nach der Matura ermahnt hat.
Bernstein, der die zweite Geige würdigt.
Der Kardinal, der die Eitelkeit entlarvt.
Der Benediktiner, der Demut als offene Schale deutet.
Und der Papst, der sie zum Fundament erklärt.
Demut ist kein Kleinmachen, sondern ein Freiwerden – für Gott, für den anderen, für das Ganze.
Sie ist kein Verlust an Würde, sondern ein Gewinn an Menschlichkeit.
Und vielleicht wirklich: der Mut zum Dienen.
Quellen
- Evangelium Lk 14,1.7–14
- Predigtgedanken P. Johannes Paul Abrahamowicz OSB
- Gedanken Kardinal Christoph Schönborn
- Papst Johannes Paul II., Predigt in Anagni, 31. August 1986
- Einleitung Militärerzdekan Dr. Harald Tripp