Schlagwort: Vertrauen

  • Auferstehung bei -40°

    Friedhofsspaziergänge haben auch etwas Philosophisches

    Tatjana Kuschtewskaja ist eine russische Schriftstellerin, die in Deutschland lebt.
    Sie wurde international bekannt durch ihr Buch „Hier liegt Freund Puschkin. Spaziergänge auf russischen Friedhöfen“.

    Darin beschreibt sie unter anderem die russische Trauer- und Friedhofskultur – auch aus philosophischer Perspektive.

    „Jetzt kann er ganz gewiss auferstehen“

    Die russisch-religiöse Philosophie des 19. Jahrhunderts um Vladimir Solovjov (1853–1900) formulierte den Anspruch, dass Tote überall so begraben werden sollten, dass sie jederzeit – in Analogie zu Jesus – wiederauferstehen können.

    Ein Mann konnte im hohen Norden bei minus 40 Grad lediglich eine Grabstelle von einem Meter Tiefe ausheben. Deshalb schlug ein Freund des Verstorbenen vor, Sprengstoff zu Hilfe zu nehmen, und so wurde Dynamit zur Explosion gebracht. Dann glättete man den Boden im Grab und bestattete den Leichnam.

    Als die Grube bereits zugeschüttet war, fiel einem Anwesenden ein, dass sie vergessen hatten, die Füße des Verstorbenen loszubinden. „Wie soll er da auferstehen?“, beklagten sich einige Trauergäste. „Die Bänder werden ihn im ewigen Eis festhalten.“

    Auf dem Friedhof war es so bitterkalt, dass selbst das Atmen schmerzte. Trotzdem wurde das Grab wieder geöffnet. Man löste die Bänder des Verstorbenen – und schloss das Grab erneut.

    Trotz der Kälte bekreuzigten sich alle Anwesenden erleichtert und murmelten:
    „Jetzt kann er ganz gewiss auferstehen.“


  • Kurz vor Oste(r)n

    Ein Versuch, der Liebe zu vertrauen

    Es gibt Momente, in denen ich innehalte. Ein Bild, das ich selbst gestaltet habe, begleitet mich dabei: Ein schlichter Kompass. Norden oben, Westen links, Süden unten – und wo eigentlich der Osten wäre, dort schlägt ein Herz. In der Mitte steht: „kurz vor OSTE®N“.

    Ein Wortspiel, ja – aber nicht nur ein Spiel. Für mich ist es ein stilles Zeichen: eine Erinnerung daran, woher das Licht kommt. Und worauf ich hoffe.

    Denn ich bin frei. Frei, zu glauben. Frei, zu zweifeln. Frei, der Liebe Gottes zu trauen – oder sie zu vergessen. Diese Freiheit ist nicht immer leicht. Manchmal fühlt sie sich an wie ein Weg ohne Ziel.

    Gerade hier in Wien, in dieser Stadt voller Geschichte, voller Melancholie, scheint mir Kirche manchmal leise zu werden. Unbemerkt. Man könnte sagen: unwichtig. Die Menschen gehen. Die Räume werden größer. Die Stimmen kleiner.

    Aber die Welt ist größer als mein Blickfeld. Und so sehe ich auch: Weltweit wächst die Kirche. Menschen finden Trost, Sinn, Gemeinschaft. Und nicht nur irgendwo – sondern in großer Zahl. Es berührt mich, das zu wissen. Es weitet mein Herz.

    Und doch: Glaube beginnt für mich nicht im Großen. Er beginnt dort, wo ein trauriger Mensch ein wenig Freude spürt – vielleicht, weil ich ihn wahrgenommen habe. Vielleicht, weil ich in diesem Moment etwas von der Liebe weitergeben konnte, die ich selbst erfahren habe.

    Ich habe viel gelernt in „meiner“ Kirche. Nicht aus Büchern, nicht aus Argumenten – sondern durch Begegnung. Durch Menschen. Durch das stille Mittragen in Momenten der Dunkelheit.

    Ostern ist nahe. Für mich ist das nicht nur ein Datum. Es ist ein Bild für Aufbruch, für Verwandlung. Nicht laut. Nicht spektakulär. Sondern in der Tiefe.

    „Kurz vor Oste(r)n“ – das heißt für mich: Ich darf mich erinnern. An das Licht, das kommt. An das Herz, das dort schlägt, wo der Morgen beginnt.

    Und an den leisen Ruf, der nicht befiehlt, sondern einlädt: Vertrau der Liebe.